Verliert Kahn den Zweikampf mit Lehmann? - 03.04.2006 10:41
Die Krise des Oliver K.
Einsam und allein drehte er seine Runden. Während die anderen Bayern-Profis am Sonntagvormittag ihre Enttäuschung über das magere 2:2 gegen den Tabellenletzten 1. FC Köln mit einem lockeren Trainingsspielchen bekämpften, trabte Oliver Kahn (36), der Torhüter, 25 Minuten lang um den Übungsplatz herum.
Danach lehnte er sich an das Metallgitter am Rande des Grüns und gab sich locker. "Ich bin die Nummer eins. Das wurde mir gesagt, und davon gehe ich aus", sagte er. Kahn ergänzte: "Ich werde jetzt nicht alles in Frage stellen, und meine sehr starke Saison lasse ich mir nicht kaputt reden."
Nun, Kahn selbst muss nichts mehr in Frage stellen - die Fragen stellen sich längst von ganz allein. 67 Tage vor der WM-Ouvertüre gegen Costa Rica droht der Torhüter aus München zum Opfer des spektakulären Konkurrenzkampfs mit Jens Lehmann (36) um den Platz im deutschen Kasten zu werden, den Bundestrainer Jürgen Klinsmann im August 2004 ausgerufen hat. Kahn zeigt Reaktion, also Nerven. Frage der Woche: Oliver Kahn oder Jens Lehmann?Beim 0:1 durch Feulner unterlief er eine Flanke, beim 1:2 durch Streits Flatterball machte Kahn ebenfalls keine gute Figur.
Von der Rippenprellung, die er sich gegen die USA (4:1) zugezogen hatte, noch nicht vollends genesen, stellte sich Kahn am Samstag ins Tor - nicht 100prozentig fit. "Das hätte er besser gelassen", sagt Trainer Felix Magath. Manager Uli Hoeneß meint: "Mit Sicherheit hätte Oliver nicht gespielt, wenn die Torwartentscheidung klar gewesen wäre."
Schon beim ersten Gegentreffer, 0:1, sah der Bayern-Schlussmann bei einer Flanke nicht gut aus, das 1:2 durch Albert Streits Fernschuss hatte er eindeutig zu verantworten. Zur Pause ließ sich Kahn - die Rippe! - wie schon vor Wochenfrist in Duisburg auswechseln; sehr zur Verärgerung seiner Kollegen verließ er bereits knapp eine Viertelstunde vor Spielschluss das Stadion. "Vielleicht setze ich mich zu sehr unter Druck", sagt Kahn und dies offenbar zu Recht. "Vielleicht muss ich mehr auf meinen Körper hören." Fortan will er nur bei "tausend Prozent" Diensttauglichkeit mitspielen.
Ein Profi mit der Erfahrung von 494 Bundesliga- und 84 Länderspielen überhört die Warnungen seines Körpers - weil er spürt, dass sich die Waage im Zweikampf mit Jens Lehmann zu seinen Ungunsten neigt? "Die Chancen stehen 50:50", sagt Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff, am Samstag auf der Tribüne in der Allianz Arena. Die Entscheidung in der Torwartfrage werde erst Anfang Mai fallen, sowohl Kahn als auch Lehmann seien "Persönlichkeiten, die für sich beanspruchen, dass sie diesen Druck wegstecken". Müssen sie. Gerade bei einer WM.
Beim FC Bayern indes gehen sie intern davon aus, dass die Entscheidung bereits gefallen sei - zu Gunsten des Arsenal-Keepers. Kahn spüre nun, dass er keine faire Chance mehr habe und zeige daher Schwächen, während Lehmann extrem gelassen auftrete. Am Sonntag entspannte sich die bisherige Nummer zwei in London bei einem Familiennachmittag; zu den Ereignissen von München könne er "nichts sagen", so Lehmann, "weil ich nichts gesehen habe".
Stattdessen reden die Bayern-Macher. "Von Anfang an", sagt Hoeneß, sei diese Sache "falsch gelaufen", spätestens "ein Dreiviertel- oder ein halbes Jahr vor der WM hätte man die Nummer eins festlegen müssen". Den aktuellen Zustand findet der Manager "unbegreiflich", er fragt sich, "was die jetzt noch beurteilen wollen". Als "von Anfang an ungleich und ungerecht" bezeichnete Magath das Duell, "Kahn konnte nur verlieren, Lehmann nur gewinnen". Ein solcher Konkurrenzkampf könne nicht durch die letzten Spiele vor der WM entschieden werden, "das passt alles nur für Herrn Lehmann, nicht für Oliver Kahn". Zudem werde, siehe das Gegentor gegen die USA, nur noch über die Fehler Kahns gesprochen, nicht aber über dessen "Weltklasseparade" beim Stand von 1:0, "das ist doch alles eine ganz linke Nummer". Beim FC Bayern gehen sie deshalb davon aus, dass Kahn bei negativem WM-Entscheid abtritt. Klinsmann sagt, all diese Aufgeregtheiten brächten ihn "in keinster Weise aus der Ruhe", Kahns Patzer sei "gar kein Problem", der Wettkampf laufe "über zwei Jahre". Die Entscheidung werde "in aller Ruhe Anfang Mai" gefällt.
Harald Kaiser/Karlheinz Wild
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