Jetzt muß ich noch ein - wie ich finde - journalistisches Meisterwerk präsentieren, morgen kann ich es dann auch kommentieren:
Das Traumschiff
Von Jonas Grashey
Fußball. Heute spielt Dynamo Dresden in der Münchner Allianz-Arena. In diesem Stadion wird der Sport zuweilen zur Nebensache.
Das Traumschiff ruht majestätisch in seinem Hafen, der Fröttmaninger Heide im Norden Münchens. Die Passagiere entern. Vor ihnen liegt eine mehrstündige turbulente Fahrt. Auf den Waben der Außenhaut lesen sie den Namen des Edelkreuzers: Allianz Arena. Nach einer Testfahrt und der offiziellen Taufe im Mai hat sie nun den Linienverkehr aufgenommen. Und der heißt Fußball-Bundesliga.
Das neue Stadion gilt als das modernste Europas und auch als das exklusivste. Kritiker verspotteten die Arena ob ihrer Form schon als Schlauchboot. Doch sie entpuppte sich schnell als Luxus-Liner. Nirgendwo steigen die Ränge so steil unters Dach empor wie hier, aber auch nirgendwo finden sich steilere Hierarchien unter den Gästen.
Geschäfte in den VIP-Logen
Der gebeizte Lachs mit Apfelmeerrettich und grobem Pfeffer hat hervorragend geschmeckt, findet Markus. Auch die Filets vom Meerwolf mit geschmortem Fenchel-Kartoffel-Gemüse. Markus sitzt in einer der 106 VIP-Logen, den Plätzen für die sehr wichtigen Personen. Wobei er nach eigener Einschätzung eigentlich gar nicht so wichtig ist, sondern ein ganz normaler Werber. Er wurde von einem Münchener Unternehmen eingeladen und trägt seine Casual-, seine Freizeitgarderobe: Anzug mit Polohemd. Obwohl Fußball für ihn hier nicht nur Freizeitvergnügen ist. Seine Visitenkarten hat er mit dabei: Hier kann ich in lockerer Atmosphäre interessante Kontakte mit Gleichgesinnten knüpfen. Markus nennt das Socializing. 13 weitere Gäste teilen sich die Loge mit ihm.
Der Geschäftsführer und Gastgeber engagierte eigens den Innenarchitekten seines Vertrauens, um den Raum nach seinem Geschmack einzurichten: Dezent wird das Firmenlogo hier und dort eingesetzt die Loge gilt schließlich als B2B-, also Business to Business-Plattform. Dafür darf der Gastgeber sie ja auch von der Steuer absetzen. Gleich hinter der Eingangstür finden die Gäste die Garderobe in weißen Schiebetürschränken. Dann die Bar inklusive Davidoff-Kaffeemaschine. Neben der länglichen Tafel mit den lederbezogenen Chromsitzen verläuft ein Büffet, das mehrmals pro Spieltag neu bestückt wird.
Fan-Kutten in der Holzklasse
Vom Esstisch geht Markus zwei Meter, dann sitzt er auf dem Logen-Balkon, dem Promenadendeck des Traumschiffs. Sein Sessel ist breiter und gemütlicher als ein gewöhnlicher Sitzplatz im Stadion. Und er hat Armlehnen. Passé die grünen Plastikschalen mit Erkältungs-Garantie, wie es sie früher im Münchener Olympiastadion gab. Die Bedienung kredenzt höflich einen Espresso, dann legt die Arena ab. Es wird nur 45 Minuten dauern, bis sie wieder ankert. In der Halbzeitpause werden geröstete Maultaschen mit Speck und Zwiebeln serviert.
Wer wie Markus in die Luxus-Decks will, braucht entweder Beziehungen oder viel Geld. Eine Loge kostet zwischen 90 000 und 260 000 Euro Miete pro Jahr. Die Mieter lesen sich wie der Deutsche Aktienindex: Daimler-Chrysler, Siemens, Adidas und Co. laden hier zu Empfängen und Konferenzen. Sie können sich in ihren Logen jederzeit bedienen lassen, 24 Stunden an 365 Tagen. Wer nach dem Spiel eine Nacht im Stadion durchmachen will, der darf das auch. Das Personal bleibt. Mehr als 900 Mitarbeiter sorgen sich auf 7 000 Quadratmetern um das kulinarische Wohl aller Hungrigen und Durstigen. Fußball ist dreckig, sagt Steven, ein Landschaftsgärtner aus München vor seiner ersten Fahrt mit der Allianz Arena. Das dokumentiert seine sieben Jahre alte Fan-Kutte, eine Jeans-Weste mit etlichen Aufnähern, die seine fußballerische Gesinnung wiedergeben. Die Arena aber strahlt so sauber, dass er sich schon auf der falschen Veranstaltung wähnt: Hier ist alles so steril. Er traut sich kaum, seine Kippe auf dem glatten, grauen Beton auszutreten. Während des Spiels steht er in der Südkurve und brüllt für seine Mannschaft. Kurz nach Spielbeginn wird er mit seinen Freunden skandieren: Ihr seid nur zum Fressen hier! Gemeint sind die Leute in den VIP-Logen. Denn wenn das Wesentliche eines Fußballspiels beginnt, der Fußball nämlich, sitzen die meisten VIPs noch hinter Glas, verschlingen das letzte Gratis-Häppchen, um sich erst dann auf den reservierten Balkon oder den als Business Seat benannten Platz darunter zu begeben. Wahre Fußball-Fans, meint Steven, genehmigen sich in der Halbzeitpause ein Bier und eine Stadionwurst. Punkt. Und zum Anpfiff ist jeder wieder auf seinem Platz.
Aber auch die Holzklasse profitiert vom schillernden Traumschiff. Früher, als noch im alten Münchner Olympiastadion gespielt wurde, hatte man die Wahl: Entweder eine Bratwurst und zehn Minuten der zweiten Halbzeit verpassen oder im Stehblock warten. 28 Kioske decken nun von der Currywurst bis zur Pizza das komplette Imbiss-Angebot ab. Der Fan zahlt hier nicht mit Euros, sondern bekommt eine Plastikkarte, die er zuerst auflädt, um sie dann am Kiosk wieder zu entladen. Das System funktioniert. Gaben die Zuschauer im Olympiastadion noch durchschnittlich zwei Euro pro Spiel aus, sind es nun sechs. In der Pause speisen die Fußballfreunde. Steven isst stehend seine Wurst. Markus schlemmt sitzend Maultaschen. Obwohl sie aus demselben Grund an Bord gegangen sind und dem gleichen Verein die Daumen drücken, sind sie sich sehr fern. Die beiden trennen drei Rolltreppen, drei Einlasskontrollen und ungefähr 15 adrett gekleidete Hostessen und Sicherheitsleute.
Weißbier im Business-Club
Die Rolltreppen hinab, an der Davidoff-Lounge für Zigarren-Liebhaber vorbei, erreicht Markus den Business Club. Statt Lachs gab es hier Lammbraten, oder zumindest Fleisch, das so ähnlich schmeckte, meint Gregor. Gregor ist ein Freund von Markus und hat wiederum über seinen Arbeitgeber eine Karte abgreifen können. Zwar nicht für eine der VIP-Logen, aber immerhin für den Business Club. Hier gastieren 2 200 Menschen, die, nach der Verpflegung zu urteilen, immerhin die zweitwichtigste Klasse an Bord darstellen. Markus und Gregor trinken gemeinsam ein Weißbier, sprechen darüber, welche Prominenten sie gesehen und welche Geschäftspartner sie getroffen haben. Nur über Fußball sprechen sie nicht. Als der Anpfiff zur zweiten Halbzeit ertönt, fährt Markus wieder hinauf in seine Loge und genießt den Blick hinab aufs Spielfeld und die Business Seats, auf denen es sich Gregor gemütlich gemacht hat. Zu diesem Zeitpunkt steht Steven längst wieder hinterm Tor und hat Ihr seid nur zum Fressen hier gesungen.
340 Millionen Euro kostete das Stadion für 66 000 Zuschauer, in dem man keine schlechte Stimmung gebrauchen kann. Abwechselnd spielen hier die beiden Münchener Profi-Vereine, die so unterschiedlich wie die Besucher der Allianz Arena sind. Hier der Rekordmeister FC Bayern, die Reichen und Großkopferten. Dort der Zweitligist 1860 München, die Sechz'ger, der Arbeiterverein. Hier Franz Beckenbauer, dort Karl Auer. Trotzdem ließen sie gemeinsam ein Stadion bauen und verkauften die Namensrechte für sechs Millionen Euro jährlich an die Allianz. 1860 hat nun in der Zweiten Bundesliga so viele Zuschauer wie niemals in der Ersten. Für den Zuschauer-Boom in München sind zum einen die Stadion-Touristen verantwortlich, die einfach nur einmal das Werk des Schweizer Architektenbüros Herzog und de Meuron bewundern möchten. Andererseits ist das Luxus-Erlebnis auf dem Traumschiff in der High Society mittlerweile chic. 20 Millionen Euro nehmen die Vereine jährlich mit der Vermietung der Business Seats und Logen ein. Die Einnahmen aus den übrigen Tickets, Pacht und Gastronomie werden auf lediglich sieben Millionen geschätzt.
Gemeinsam im Rückweg-Stau
Als das Spiel vorbei ist, dröhnt Robbie Williams durch die Lautsprecher Let me entertain you. Und obwohl der Kick nur durchschnittlich war und Markus und Steven ihn auf so unterschiedlichen Decks erlebt haben, sind beide zufrieden. Denn unterhalten wurden sie in der Tat. Markus nascht vom Dessert, weiße Schokolade mit Himbeermark, dann geht er pappsatt ins mit knapp 10 000 Parkplätzen größte Parkhaus Europas unter dem Stadion und tritt den Heimweg an.
Steven feiert noch seine Mannschaft und genießt die sensationelle Akustik in der Arena, bevor er sich auf den Weg macht. Auf dem Heimweg sind sich die beiden so nah wie noch nie an diesem Tag: Sie ärgern sich über den Stau auf der A 9, in dem sie beide seit einer halben Stunde stehen.
Quelle:
Sächsische Zeitung
bis nachher @ Ecke
