Rafinha zur WM?

maxy

Erfahrener Benutzer
Er ist jung, er ist klein - und doch gehört Rafinha (20) mittlerweile zu den ganz Großen der Bundesliga. Schalkes Brasilianer hat sich sowohl auf dem Platz als auch daneben bereits großen Respekt und Anerkennung erspielt.
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Hofft auf eine Nominierung für die WM: Schalkes Brasilianer Rafinha.kicker: Rafinha, gewöhnlich erleben Abwehrspieler mit 28 oder 30 Jahren ihre besten Phasen. Sie wirken schon mit 20 sehr abgeklärt und ausgereift. Wie gut wollen Sie mit 28 sein?

Rafinha: Im Grunde will ich so weiterspielen wie jetzt, meinen offensiven Stil als Außenverteidiger aber noch verfeinern. Ich will immer besser werden. Also hoffe ich, mit 28 weiter zu sein als heute.

kicker: Für Ihre Tempodribblings und exakten Flanken bekommen Sie regelmäßig Szenenapplaus. Haben Sie diese Präzision gelernt oder ist das Talent? Rafinha: Bei meinem letzten Verein Coritiba wurde extrem viel Wert auf diese Dinge gelegt. Ich kam mit 16 dorthin, habe dann aber schon schnell im Profibereich gespielt. Es ging überhaupt alles schnell: Ich war nur 18 Monate Profi, da klappte schon der Wechsel nach Europa.

kicker: Dabei gab es vor dem Transfer auch auf Schalke kritische Stimmen, ob ein so kleiner und schmächtiger Spieler in Deutschland in einer Abwehr bestehen könne. Wie schaffen Sie es?

Rafinha: In Brasilien wurde auch so gedacht: Der kleine Rafinha da außen, der kann uns keine großen Probleme machen, glaubten die Gegner. Zum Glück gelang es mir immer, die körperlichen Unterschiede durch Schnelligkeit, Aggressivität und mein Flinksein zu kompensieren. Ich habe auch schon oft gedacht: Mein Gott, meine Gegner sind ganz schöne Brocken. Aber mit der richtigen Spielweise gibt es einen Weg, dem standzuhalten.

kicker: Nach Ihren guten Spielen in der Champions League haben wir in der Ranglisten-Konferenz des kicker diskutiert, ob Sie schon internationale Klasse verkörpern. Für uns sind Sie auf dem Sprung dorthin - eine richtige Einschätzung?

Rafinha: Mich hat diese Einstufung gefreut, ich sehe sie als Kompliment. Klar, manchmal überlegt man sich selbst, wo man steht. Ich denke: Wenn ich den Sprung in die brasilianische Nationalmannschaft geschafft habe, gehöre ich zur höchsten Kategorie. Alle Spieler der Selecao sind Weltklasse oder internationale Klasse. Jetzt ist wichtiger, dass ich mein Spiel weiter verbessere. Vielleicht kann ich nächstes Jahr schon einen kleinen Sprung machen, wenn ich die Mannschaften und Gegner hier besser kenne.

kicker: Viele Brasilianer haben in Deutschland Eingewöhnungsprobleme. Warum machten Sie den Eindruck, dass Sie von der ersten Woche an munter losspielten?

Rafinha: Die fremde Sprache, die andere Kultur - das sind Schwierigkeiten. Aber das weiß man, wenn man so einen Wechsel macht. Darauf muss man sich einstellen. Fußballerisch gibt es keine Probleme. Ich fühle mich hier wohl. Ich trainiere sehr viel und wurde von den Mitspielern gut aufgenommen.

kicker: Ihre Landsleute Marcelo Bordon und Lincoln sind auf Schalke Stars, für die Nationalelf aber unbedeutend. Warum sollte das für den Schalker Rafinha anders werden?

Rafinha: Das hat nichts mit dem Verein zu tun. Lincoln und Bordon wären in jedem anderen Land Nationalspieler. Es ist halt schwer in Brasilien. Wir haben so viele gute Fußballer, dass wir drei Nationalmannschaften stellen könnten - und alle drei wären Weltklasse.

kicker: Nationaltrainer Parreira sagte im Sommer, er werde das Juwel Rafinha in Deutschland genau verfolgen. Hat er schon zum guten Einstand in Europa gratuliert?

Rafinha: Nein. Aber ich weiß, dass er die Spiele der Bundesliga sieht. Allein schon wegen Lucio, Gilberto, Juan oder Roque Junior. Also sieht er auch Schalker Spiele. Unabhängig davon geht es mir zunächst nur darum, im Klub konstant gut zu spielen. Dann müsste die Nationalelf die Konsequenz sein.

kicker: Immerhin geht es um die Nachfolge von Cafu, der nach der WM abtritt. In Brasilien hieß es, Sie als Junioren-Nationalspieler oder der 25-jährige Cicinho von Real Madrid würden das Erbe antreten.

Rafinha: Ich sehe in Brasilien noch mehr gute Kandidaten. Aber es nützt nichts, mir jetzt den Kopf zu zerbrechen. Ich muss einfach daran arbeiten, auf Schalke weiter einen guten Job zu machen. Dann komme ich in meiner Karriere weiter.

kicker: Hat ein Spieler von Real in Brasilien nicht automatisch einen Bonus gegenüber einem Schalker?

Rafinha: Mit Sicherheit. Der deutsche Fußball wird in Brasilien zwar auch gezeigt. Aber viel wichtiger ist die spanische Liga. Viele große Brasilianer spielen in Spanien.
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"Ich traue mir die WM schon zu. Ich bin bestens vorbereitet."
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kicker: Was wäre eigentlich, wenn sich Cafu vor der WM verletzt?

Rafinha: Ich hoffe für Brasilien, dass es nicht passiert. Wenn doch, würde ich auf eine Nominierung hoffen. Ich traue mir die WM schon zu. Ich bin bestens vorbereitet.

kicker: Dabei werden Sie auch auf Schalke nur "Der Kleine" genannt. Ein ärgerlicher Spitzname?

Rafinha: Es macht mir nichts aus. Schauen Sie sich unsere Abwehr an: Bordon, Krstajic, Rodriguez - das sind richtige Schränke. Und ich mittendrin. Das sieht schon lustig aus. Wenn wir aus der Kabine kommen, gucken die Leute mich oft komisch an. Viele fragen: Bist du auch ein Spieler? Ich wirke offenbar sehr klein, wie ein junger Fan.

kicker: Bei einigen Gegenspielern hingegen haben Sie einen unfreundlichen Eindruck hinterlassen. Welcher Charakter überwiegt: Der liebe, freundliche - oder der freche, harte aus dem Spiel?

Rafinha: Ich spiele nie bewusst so, dass ich jemanden verletzen möchte. Um Himmels willen! Aber ich gebe zu: Auf dem Platz bin ich eine andere Person, wenn ich jemanden bekämpfen soll. Ich werde allerdings auch sehr, sehr oft gefoult - irgendwann würde das jedem auf die Nerven gehen. Die Bundesliga ist härter als der brasilianische Fußball. Da muss ich meine fehlende Größe durch Bissigkeit kompensieren.

kicker: Zwei Szenen sind uns aufgefallen. Die erste: Im Duell mit den Bayern spielten Sie gegen Zé Roberto. Experten erwarteten einen respektvollen Rafinha. Sie aber haben Zé nach zwei Dribblings umgetreten. Kein Respekt vor dem großen Landsmann?

Rafinha: Ich respektiere Zé, ich bewundere ihn sogar über alle Maßen. Aber auf dem Platz hilft mir das nicht. Da muss ich meinen Job machen. Ich hätte jeden anderen in dieser Szene auch so bekämpft.

kicker: Die zweite Szene: Gegen Dortmund kam es zu einem Wortgefecht mit Lincoln, weil Sie ihm erklärten, wie man klüger spielen würde. Lincoln reagierte sauer.

Rafinha: Lincoln will immer von mir angespielt werden. Aber in der Szene war er zugedeckt, also habe ich einen hohen Ball gespielt. Da kam es zur Diskussion. Man muss sich im Spiel auch mal anmotzen, dabei fehlt aber nie der Respekt.

kicker: Für einen 20-jährigen Neuzugang aus dem Ausland ist das recht forsch. Man könnte Sie in der Hierarchie weiter hinten vermuten.

Rafinha: Ich versuche immer, mit allen auszukommen. Aber ich will auch verbessern. Mich. Das Spiel. Gott sei Dank habe ich noch kein grottenschlechtes Spiel abgeliefert, deshalb werde ich unterstützt.

kicker: Wird Ihre Meinung in der Mannschaft angehört?

Rafinha: Oh ja, klar. Auf dem Platz müssen alle gleich denken, alle müssen den Sieg wollen. Da kann es keine Unterschiede geben. Weil ich noch nicht so gut Deutsch spreche, muss mein Nebenmann Bordon manchmal übersetzen. Meine Meinung wird respektiert.
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"Wenn Brasilien kein Weltmeister wird - dann auf keinen Fall Argentinien."
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kicker: Zurück zur WM: Wer kann Brasilien stoppen?

Rafinha: Diesmal sind so viele unbekannte Nationen dabei, die keiner kennt. Dadurch könnten Komplikationen entstehen. Brasilien ist sehr, sehr stark. Aber man darf nicht sagen: Dieser Gegner ist leicht und der nächste noch leichter. Brasilien darf nicht mit der Erwartung auflaufen, alle wegpusten zu können. Trotz der Qualität der Selecao - die Gegner sind unberechenbarer.

kicker: Verfolgen Sie die WM in Deutschland oder in Brasilien?

Rafinha: Mit meiner Familie in Brasilien. Wichtig ist dann: Wenn Brasilien kein Weltmeister wird, darf es auf keinen Fall Argentinien werden. Das wäre schwer auszuhalten.

kicker: Wir haben noch gar nicht über den Samba-Skandal aus der Vorrunde gesprochen. Sollen wir?

Rafinha: Für mich kein Problem. kicker: Schon in den Zeiten, bevor Schalke 0:6 im Pokal in Frankfurt verlor, kam es in Teilen der Mannschaft nicht gut an, dass Sie oder Lincoln mit Sambatrommeln im Hotel, im Bus, in der Kabine erschienen. Im Nachhinein ein Fehler?

Rafinha: Es ist die Mentalität der Brasilianer, froh zu sein. Man sollte jeden Tag genießen. Damals gab es mehrere Ursachen für eine gewisse Unruhe. Generell sage ich: Wenn es Leute gibt, denen die Musik nicht gefällt, müssen Sie aber unseren Charakter akzeptieren – so wie wir jeden Charakter akzeptieren.

kicker: Also kein Fehler?

Rafinha: Was heißt Fehler? In einer Mannschaft muss man einen Einklang finden zwischen den Kulturen. Musik ist gut für unsere Motivation. Wir machen das noch immer, zumindest manchmal. Weil es gut ist. Und weil ich es brauche.

Interview: Jean-Julien Beer
 
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