Hooligans, Ultras, Pilze, Polizisten und der DFB
(Redaktion) Endlich hat Deutschland wieder neue Schreckensnachrichten: tausende marodierender Hooligans, die offensichtlich seit Jahren im Untergrund leben, sich mit einem normalen Leben tarnen und im kommenden Sommer zuschlagen werden. Deutschland hat ein Sicherheitsproblem, die Hysterie kennt keine Grenzen mehr.
Was ist eigentlich passiert? Vor gut drei Wochen fand im slowenischen Celje ein Länderspiel statt. Dabei kam es vor dem Spiel zu gewalttätigen Ausschreitungen einiger deutscher Fans. Erstmals seit langer Zeit schien niemand großartige Ausreiseprobleme zu haben und auch kein Zivilpolizist war aus Slowenien angefordert worden man käme alleine zurecht, hieß es. Plötzlich geschieht etwas, das man wohl als Tabubruch bezeichnen muss: Erstmals schlagen sich bei einem Länderspiel Deutsche Fans untereinander, Kölner gegen Dortmunder. Der Grund dafür ist uns nicht bekannt. Angeblich ging das Ganze aber von einem Kölner aus, später schalteten sich wohl auch andere Fangruppen ein. Dann erschien die Polizei und alles endete im Chaos.
So weit, so schlecht. Durch diese Geschichte war die Stimmung fortan sehr aggressiv und aufgeheizt. Das ist natürlich keine Entschuldigung für das spätere Verhalten im Stadion. Genauso wenig ist aber das anschließende Verhalten einiger Medien zu entschuldigen. So wurde beispielsweise ein zerschlagener Polizeiwagen gezeigt, der jedoch in Wahrheit bei einem Verkehrsunfall zu Schaden kam. Auch die überall abgelichteten Verletzten, die von slowenischen Polizisten abgeführt wurden, waren keine Deutschen, sondern Slowenen, die nach dem Spiel eine Schlägerei mit Deutschen anzettelten. Die Süddeutsche Zeitung erhob darauf die Slowenen zum kulturbeflissenen, friedlichen Völkchen, das Gewalt gar nicht kenne und von den rüpelhaften Deutschen quasi überfallen wurde. Natürlich wurde das alles nie richtig gestellt. Genauso wenig wurde jemals über die Schlägereien untereinander berichtet, geschweige denn sich überhaupt dafür interessiert. Es wäre doch durchaus spannend zu erfahren, warum und wieso es überhaupt dazu kam, oder etwa nicht?
Für das übertragende ZDF waren die Ausschreitungen indes ein echter Glücksfall. In Zeiten, wo man selbst für solch eigentlich belanglose Länderspiele 2-3 Stunden Übertragungszeit einplant, war nun für Stimmung gesorgt. Kommentator Bela Rethy ging das gesamte Arsenal von Leuchtraketen bis Sprengkörper durch und hatte doch keine Ahnung, dass es lediglich bengalische Fackeln waren, die auf dem Platz landeten. Darunter übrigens auch eine aus dem slowenischen Block, den Rethy dann aber kurzerhand zu einem gemischten Block machte, um ja nicht den Eindruck entstehen zu lassen, hier könnten auch andere als deutsche Landsleute randalieren. Man will den Zuschauer ja nicht überfordern.
Die eigentliche Heuchelei zeigte das gleiche ZDF noch ein paar Tage zuvor, als es mit großer Begeisterung über die Pyroshow der Stuttgarter in Parma berichtete. Damals war nicht die Rede von Idioten und Feinden des Fußballs was ja auch sonst nie der Fall ist, wenn man solche Bilder aus Südeuropa sieht. Zurück nach Celje: Leider konnten von unseren Landsleuten einige offenkundig nicht aus ihrer Haut und mussten sich im Stadion vor aller Öffentlichkeit weiter produzieren. Allen vorweg ein Sportsfreund aus Bochum, der mit stilechter Burberry-Baseballkappe und nacktem Oberkörper zum TV-Star des Abends mutierte. Sein Auftreten wird er heute mehr als bereuen, auch wenn ihm das jetzt nur noch wenig hilft. Zwischendurch flogen noch einige Sitzschalen, die entweder herausgerissen wurden oder einfach abbrachen, was man glaubt es kaum Wochenende für Wochenende vorkommt. Warum man sie dann aber noch durch den Block werfen muss, erschließt sich uns nicht. Die Mischung aus Alkohol und Dummheit war daran wohl Schuld.
Nach dem Spiel probt die slowenische Polizei eine Blocksperre. Und wie das bei Blocksperren immer wieder ist, drängt alles zum Ausgang und will raus. Vorne gehts nicht weiter, hinten drängelt alles und schon bricht ein Geländer ab, zum Glück passiert bei dieser Szene nichts und niemand fällt die Treppen runter. Für das Kompetenzteam des DSF war das dann übrigens Randale und ein Angriff auf die Polizei mit einer Rauchbombe, weil im Hintergrund Rauchpulver auflodert. Der Unterschied zwischen Rauchbomben und Rauchpulver sollte übrigens dringend mal in einem Lehrgang für Sportreporter erklärt werden. Beides hat zwar im Stadion nichts zu suchen, die Gefahr ist aber höchst unterschiedlich.
In Celje war es eine Mischung aus Aggressivität, Alkohol und inkompetenter Polizei ausschlaggebend für die Ausschreitungen. Für das Medienecho und die hetzerisch-reißerischen Berichte sind aber in erster Linie Medienunternehmen verantwortlich. Erwartungsgemäß kam es in den Folgewochen in den Ligen 1-3 zu Nachahmungseffekten. Plötzlich brennt wieder öfter bengalisches Feuer in den Blöcken und Burberry oder die entsprechenden Fakes dürften neue Umsatzrekorde verzeichnet haben.
Für den Großteil der oberflächlich berichtenden Medien ist das nun das Fanal für die Berichterstattung Hooligans in Deutschland. Jeder bekommt einen angeblichen Hooligan vor die Kamera, der wahlweise Arzt oder Kaufmann ist und ansonsten ein ruhiges Leben führt. Angst geht um, die Hooligans sind alle unter uns und tarnen sich als Spießbürger. Und alle wissen nun, davon zu berichten, dass es 2006 in Deutschland knallen werde, alle tierisch motiviert seien und überhaupt die Hooliganszene nicht tot sei. Der unvermeidliche Hooligan-Forscher Professor Günther Pilz bekommt nun auch endlich seinen Auftritt und behauptet, dass sich die Ultras zu Hooltras gewandelt hätten und er dafür sei, die Zügel wieder anzuziehen. Übrigens bezieht Herr Pilz den Großteil seiner Forschungsaufträge angeblich vom DFB.
Und dann die Krönung am Dienstagabend: Championsleague. Inter verliert zum x-ten Mal in den letzten Jahren ein Derby gegen den AC Milan. Ein Tor wird nicht anerkannt, die Inter-Ultras rasten aus und decken den Platz mit allen möglichen Gegenständen ein, darunter auch zahlreiche Bengalische Fackeln, aus denen bei SAT1 und Premiere wieder Leuchtraketen oder gar Leuchtspurmunition werden (grundsätzlich nicht weniger gefährlich, aber Rakete klingt natürlich wesentlich martialischer). Milan-Torwart Dida wird getroffen, sackt zusammen und muss ausgetauscht werden. Das Spiel wird schließlich abgebrochen, als sich die Situation nicht bessert. Abgesehen von der grenzenlosen Dummheit der Interisti, die das angezettelt haben, stellt sich wohl nicht nur uns die Frage, wie so etwas überhaupt möglich war. Ganz einfach: In Italien ist es an der Tagesordnung, dass die großen Ultragruppen den Ordnungsdienst selbst stellen und somit immer bengalische Fackeln ins Stadion bringen. Diese fliegen unsinnigerweise auch immer wieder aufs Spielfeld oder in gegnerische Fanblöcke. Dass aber ein Spieler getroffen wird, bedeutet eine neue Qualität.
Nun sind wieder die selbsternannten Experten am Zug: Munter vermischen sie Slowenien, Cottbus, Dresden und Inter zum explosiven WM-Bedrohungs-Cocktail. Abgesehen davon, dass italienische Ultras zu 99% nicht mal ansatzweise an ihrer Nationalmannschaft interessiert sind, ist diese miese Berichterstattung eher gefährlich als förderlich. Auch ein Großteil der deutschen Ultras interessiert sich nur am Rande für die WM, da man sich als Normalfan dort gar nicht willkommen sieht Preis- und Kartenpolitik sei Dank. Und an Randale sind deutsche Ultras in der Regel auch nicht interessiert.
DFL-Geschäftsführer Werner Hackmann verkündete inzwischen aber, dass die DFL und der DFB nun wieder härter zugreifen werden, auch wenn das den Fans nicht gefalle. Oha! Welche bislang locker gehaltenen Zügel Herr Hackmann meint, wird er sicherlich gut erklären können, oder? Meinte er, dass man als Gastfan inzwischen in jedem Neubau in einer Art Glaskäfig steht, durch Tunnel läuft und keinerlei Möglichkeit hat, die Stadt zu sehen? Oder redet er davon, dass man bei einem bundesweiten Stadionverbot keinerlei rechtliche Handhabe dagegen hat, sofern man nicht zufällig Geld für einen Anwalt hat? Oder aber davon, wie die Stehplätze für Gästefans immer weniger, dafür aber immer teurer werden?
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte schreibt in einer kürzlich veröffentlichten Pressemitteilung, dass die zunehmende Kriminalisierung junger Fußballfans in die falsche Richtung führt (
http://f51.parsimony.net/forum204506/messages/2817.htm).
Welcher Irrsinn schon jetzt getrieben wird, war am vergangenen Wochenende zu beobachten: die zwei Busse des Commando Cannstatt (Ultras des VfB) wurden ab Berlin von einem Polizeihubschrauber begleitet und etwa 50 Kilometer vor Rostock von knapp 30 Polizeiwannen abgefangen. Die Rostocker Polizei stellte sich vor und erklärte, dass sie eine Warnung ihrer Stuttgarter Kollegen erhalten habe, an Bord befänden sich Gewalttäter und Pyrotechnik. Daraufhin wurden alle abgetastet, mussten dazu den Bus verlassen, den die Polizei so gleich durchsuchte. Gefunden wurde nichts und die Rostocker Polizei entschuldigte sich (das ist wirklich außergewöhnlich) und schob es auf die Stuttgarter Kollegen. Fotos:
www.lostboys99.de. Und als wäre das alles nicht genug, werden am Samstag in Mönchengladbach Mainzer Fußballfans in eine Auseinandersetzung mit der Polizei gebracht, bei der sogar Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Mainzer Fanprojekts zu Schaden kommen (
http://f51.parsimony.net/forum204506/messages/2936.htm). Natürlich erschienen auch hier kaum Berichte in den Medien, die die Szenerie differenziert darstellten, es wurde nur munter der Polizeibericht abgetippt, wie jedes Wochenende.
Muss solche Einsätze eigentlich niemand mehr rechtfertigen? Was kostet das? Wo bleibt die Verhältnismäßigkeit der Mittel? Wer überwacht die Polizei? Warum muß sich ein Polizist der Hundertschaft nicht durch eine Nummer kenntlich machen, damit man hinter der Maskierung auch den Schuldigen erkennt?
Für die WM 2006 bleibt das bittere Fazit, dass wir seit geraumer Zeit nur noch über hohe Kosten, Sponsoren, zu wenig bezahlbare Karten und Sicherheit reden. Wo ist das Programm für Fußballfans? Wo ist die Möglichkeit, Fans aus aller Herren Länder kennen zu lernen? Wo sind die positiven Nachrichten über dieses Großereignis? Sind wir Fußballfans nun allesamt ein Sicherheitsrisiko? Es mutet teilweise schon merkwürdig an, wenn Fans selbst in die Hysterie einsteigen und für sich selbst Sippenhaft fordern.
Die Welt zu Gast bei Freunden sind die Freunde uniformiert?