(on Tour) HSV - Borussia Mönchengladbach

Dilbert

Pils-Legende
6. Spieltag 2011 - 2012

Mahlzeit!

Bisschen spät, aber besser spät als nie.

An diesem Samstag musste ich vor dem Fussballvergnügen noch arbeiten. Was dabei rauskommt, wenn man in Gedanken statt auffer Dementenstation schon im Stadion ist, bekam als erstes meine Lady mit, der ich um kurz nach sechs eine fast panische Guten-Morgen-Mail mit dem Inhalt "Bin spät dran.." schickte, wobei ich mich fragte, wo denn bitte die Zeit hin war, ich stehe doch eigentlich immer sehr pünktlich auf. Bis mir dämmerte, dass ich ja seit dem Stationswechsel im April auch erst um sieben, und nicht um halb sieben Dienstbeginn habe... Herr Clown, die Sahnetorte bitte mitten in mein Gesicht, dämlicher kann´s nu eh nicht mehr werden.

Auffer Arbeit lief mir im Keller dann der Getränkelieferant mit ´nem HSV-Käppi über´n Weg, den ich in meinem Borussen-Shirt natürlich gleich die Frage aller Fragen stellen musste: "Na, nachher auch im Stadion?" - "Nö, das schaff ich nicht... die verlieren doch eh wieder..." - Na, hoffentlich."

Nun mag der eine oder andere HSV-Fan mich angesichts dieses Gesprächs für einen Verräter und Vollzeitegoisten halten, schliesslich stand dem HSV schon da das Wasser bis zum Hals, und meine Borussen hatten einen mehr als ordentlichen Saisonstart hingelegt. Andererseits gönnte ich dem HSV nicht nur aus Borussensicht eine Packung, und das zum Besten des Vereins. Ein zünftiges 0:3 oder 1:5, und dann wären die Hamburger diesen planlosen Knaben mit der sensatiomüllen Pleitenserie auffer Bank endlich los. Denn, mal ehrlich: Eine Wende zum Positiven beim HSV unter Oenning hielt nicht nur ich für noch unwahrscheinlicher als eine Gladbacher Meisterschaft unter Michael Frontzeck. Oenning mag theoretisch was vom Fussball verstehen und als Co.-Trainer gute Arbeit leisten, aber seine Ideen selbst an Spieler vermitteln, daran ist er ebenso gescheitert wie an seiner nicht vorhandenen Autorität.

Nun ja, um halb eins wurde ich von meinen netten Kolleginnen in die Umkleide gescheucht, damit ich auch ja meinen Zug noch bekommen würde. Rein in die Stiefel, das uralte Van Lent-Trikot übergeworfen, Schal ummen Hals, Rucksack her und dann im strammen Marschtempo zum Bahnhof, wo Günni und Daniel schon warteten.

Daniel hatte auf den ersten Blick entweder die Hoffnung noch nicht komplett beerdigt, oder einen Anfall von Grössenwahn - viel wahrscheinlicher scheint mir aber einfach nur bitterer Sarkasmus. Jedenfalls meinte er, dass meine Borussen heute mit 5:0 was auffe Glock kriegen würden. Selbst wenn die Gladbacher in der Vergangenheit gern mal der Aufbaugegner für in den Tiefen der Tabelle herumkrebsende Truppen waren (meist so lange bis man selbst unten rumschlurfte), dass ein von Favre trainierter Haufen fünf Buden reinbekommt, passiert seltener als ´ne totale Mondfinsternis oder ein Trainer-Engagement von mehr als drei Jahren bei Peter Neururer.

Die Hintour verlief sehr friedlich und etwas feuchtfröhlich, weil ich für mich Bier mitgenommen hatte, Günter und Daniel aber auch. Hicks... Ich hatte ja ehrlich mit etwas grummeligen Hamburgern gerechnet, wenn man dermassen unten in der Scheisse hängt, ist die Laune eben nicht die beste. Ob es am noch relativ frühen Zeitpunkt der Saison lag oder die sich insgeheim einfach in ihr Oenningsches Schicksal ergeben hatten weiss ich nicht, wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. Viel Mut hab ich da jedenfalls nicht gesehen und gehört, und wenn selbst die eigenen Fans bei einem Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach später bei Knappi vor dem Spiel schon innerlich die weisse Fahne hissen, dann sagt das viel aus.

Noch mehr über den vorprogrammierten Untergang sagte dann die Aufstellung von Oenning aus.

Bevor ich diese "bewundern" durfte, musste ich aber erstmal auf meinen Platz. Block 14C, Reihe 18 (Treppenschnauf), Sitz 108... Mehr Arsch der Welt geht in diesem Stadion im Gästeblock definitiv nicht.

Während Favre mit seinem üblichen Klassenerhalts-Personal aus dem letzten / ersten Saisonviertel antrat, kam vom Hamburger Coach der Offenbarungseid. Abgesehen vom Spiel geegen Wolfsburg hatten die Borussen ja nun nicht gerade durch Tore am Fliessband geglänzt, dafür aber mit einer höchst kompakten Defensive, an der sich selbst die Bayern am ersten Spieltag die Zähne ausgebissen hatten. Wenn man gegen den Haufen dann selbst so aufstellt, als wolle man auswärts bei Manchester United nicht zu hoch verlieren, dann kann da doch eigentlich nichts bei rauskommen. Mit Skjelbred und Petric gab es nur zwei wirklich eindeutig offensive Leute auf´m Acker, dazu als Unterstützung Jansen, der aber die (bessere) Hälfte seiner Karriere eher als Aussenverteidiger verbracht hat. Und dann so spielte, als hätte es die Zeiten, in denen er sich in den Kreis der Nationalmannschaft kickte, niemals gegeben... Was ist nur aus dem Kerl geworden? Das hat inzwischen schon Ketelaersche Züge, nur noch schlimmer.

Nun ja, wenn ein Trainer seinem Team schon inner Aufstellung quasi Offensivverbot erteilt, und das auch noch dummerweise der Chef des Heimteams ist, dann kommt bei einem Gegner dessen Motto auswärts meist "erstmal nüscht zulassen" ist, eine stinklangweilige erste Halbzeit raus. Beim HSV ging gar nichts, bei den Borussen vorwärts nicht viel mehr. Mit einem Chancenverhältnis von 0,3 zu 0,75 ging es höchst komatös in die Pause.

In der schien Favre seinen Jungs sowas wie "Äääh, meine Herren, so einfach war es wohl nie hier zu gewinnen, also etwas mehr Druck" gesagt zu haben, was Oenning gesagt hat kann ich nicht im Ansatz erahnen. Obwohl die Borussen in Halbzeit eins wahrlich kein Bäume ausgerissen haben, liess er die taktische Handschissbremse zunächst angezogen, kein offensiver Wechsel, kein Mut, nichts.

Dass die Rechnung auf Dauer wohl nicht aufgehen würde, musste dann sogar Oenning einsehen, nachdem die Borussen zu Beginn der zweiten Halbbzeit Drobny desöfteren unter Beschuss nahmen. Zumindest liess Drobny diesmal sein obligatorisches Osterei sein. Oenning nahm nach zehn gruseligen Minuten Jansen (den man für diese Nicht-Leistung für vier Wochen in die zweite Mannschaft verbannen sollte, den Ball zweimal dermassen meterweit hinter das Tor zu flanken, ist schlichtweg eines Bundesligaspielers unwürdig) und Skjelbred runter, und brachte Son (neben Petric der einzige Hamburger, vor dem ich vor dem Spiel etwas Muffe hatte) und Töre. Kaum war das passiert, schon wurden die Hamburger auch mal aktiv. Und die Borussen hatten Glück, als ein Tesche Kopfball an den doch etwas erhobenen Arm von Daems flog, allerdings aus sehr kurzer Distanz. Da gab es schon Elfmeter für, diesmal nicht.

In Minute 66 passierten dann drei Sachen auf einmal. Favre nahm Herrmann (sorry, Patrick, aber ich glaub, Dich sollten wir mal für ein Jahr in die zweite Liga verleihen, damit du mal wieder eigene Erfolgserlebnisse bekommst) und den wiederauferstandenen Stammspieler Marx Bobadilla und Nordtveit. Ausserdem gab es einen Freistoss für Gladbach aus dem tiefen Halbfeld. Den latschte Arango zwar fachgerecht, aber irgendwie auch ´ne halbe Ewigkeit fliegend in den Strafraum. de Camargo sah sich um, sah so ungefähr keinen Gegenspieler (die guckten dem Ball zu und bewunderten dessen Langsamkeit und Flugbahn, oder sie wussten schlichtweg wie in den letzten Spielen nicht was sie machen sollten) in seiner unmittelbaren Nähe, und hatte so wenig Mühe die Pille per Kopf im Hamburger Tor unterzubringen. Die Stimmung im Borussen-Block war ja schon vorher ausgezeichnet, nun ging das ganze Ding erstmal inne Luft.

Nun hätte man irgendwie eine Reaktion des HSV erwartet... stattdessen stürmte Borussia weiter. Die Hamburger konnten sich bei Drobny (und das sagt fast alles in dieser Saison) bedanken, dass es kein komplettes Debakel wurde. Oder bei der etwas fehlenden Abgeklärtheit von Reus, der zweimal an Drobny scheiterte. Der HSV hingegen konnte sich keine Torchance mehr erspielen, im ganzen Spiel gab es nur die eine, die ein Elfmeter hätte werden können.

Trotzdem war ich aus der letzten Saison noch extrem vorgeschädigt, und zitterte bis zum Schluss um den hochverdienten Sieg gegen einen so hilflosen wie leblosen Hamburger SV. Als das Spiel vorbei war, war ich mir eigentlich völlig sicher, dass das der letzte Oenning-Auftritt auf der Bank des HSV gewesen sein musste. So scheisse kann man doch nicht sehenden Auges in den fussballerischen Untergang schlurfen. Umso entsetzter war ich verständlicherweise am nächsten Morgen, als Arnesen in meiner Sportschau-Aufzeichnung androhte, noch ein Spiel fahrlässig bis mutwillig in den Mülleimer zu werfen und mit Oenning nach Stuttgart zu fliegen. Nun ja, geflogen ist Oenning dann, zum Glück aber schon Montag, und wahrscheinlich nicht nach Stuttgart.

Als ich mich zur besten Wurstbude der Welt aufmachte, um Bier für die Rückfahrt zu holen und Knappi mein Beileid auszusprechen, sah ich in den Gesichtern der HSV-Fans nichts als Resignation und bittere Belustigung über die eigene Situation. Statt wie eventuell woanders böse Sprüche wütender Fans oder gar Androhung von Vermöbelungen zu kassieren, gab es da nur Glückwünsche zum verdienten Sieg. Mein Eindruck von vor dem Spiel wurde bestätigt: Die hatten bei der Konstellation in der sportlichen Führung schlichtweg aufgegeben. Selbst wenn man "hauptberuflich" Gladbacher ist: Da blutet einem das Herz. Nicht, dass ich auf Kloppe oder Zoff hoffe, aber der Laden war einfach nur tot.

Nachdem ich bei Knappi den Rucksack mit goldenen Dosen gefüllt hatte, stiefelten wir schnellen Schrittes nach Stellingen. Schliesslich galt es diesmal wirklich den ersten Zug nach Rendsburg zu erwischen. Einmal musste ich am Sonntag wieder um halb sechs aufstehen, und zweitens galt es noch Daniels Junggesellenabschied zu feiern. Das klappte dann auch, wobei ich allerdings beim Zug durch die Rendsburger Innenstadt die Finger vom Bier liess. Irgendwann muss einfach mal Schluss sein.

In dem Sinne:

"Wir singen dem Daniel ein Lied - Ein Lied - Damit er uns einen ausgibt - ausgibt -
Der Daniel, der lässt sich nicht luuuumpen, er kann sicch bei Melli was puuumpen..."

Die Hochzeitsfeier war dann zeitgleich zum Spiel in Stuttgart. Wie kriegen wir die beiden jetzt nur dazu, noch 27 mal in dieser Saison zu heiraten...?

Gruss
Dilbert
 
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