Meine WM-Erinnerungen

huelin

Quite clear, no doubt, somehow
Weitere vier Jahre sind ins Land gezogen, ich wohne inzwischen wieder in meiner westfälischen Heimat, nämlich in Münster, auf einer netten Studentenetage. Größeres Zimmer, größerer Fernseher, diesmal sogar in Farbe... und trotzdem größere Anzahl an Spielen außer Haus, denn inzwischen hatte ich eine Stammkneipe im Viertel, und das nächtliche Leutetreffen und Gerstensafttanken war mir zur lieb gewonnenen Gewohnheit geworden... :)

Die WM 1978 war von Anfang an von Diskussionen über die Vergabe in eine ziemlich brutale Militärdiktatur geprägt. Aber genau wie heute war das der Fifa natürlich völlig egal – und was ich nicht mehr wusste, aber gerade bei Wiki gelesen habe: Argentinien bekam den Zuschlag für die WM bereits auf dem FIFA-Kongress in London am 6. Juli 1966! Parallelen zur frühen Vergabe an Katar drängen sich da fast schon auf...

Gefreut hab ich mich damals trotzdem auf die WM... denn man will sich halt am Ende den Spaß nicht verderben lassen. Und es wurde vom Fußballerischen her keine schlechte WM, auch wenn der Glanz der drei vorangehenden Turniere nicht ganz erreicht wurde. Glück hatte man mit dem Wetter, denn im argentinischen Winter regnet es nicht selten, während der WM herrschte jedoch meist kühles, aber sonniges Wetter, also ideale Fußballbedingungen.

Damals bestritt noch der Titelverteidiger (der auch keine Quali spielen musste) das Eröffnungsspiel, und gegen Polen gab es ein dröges 0:0 – übrigens zum vierten Mal hintereinander, so dass ich tatsächlich im Alter von 23 Jahren noch nie ein Tor in einem WM-Eröffnungsspiel gesehen hatte... ;) Es folgte ein 6:0 gegen Mexiko, mit 2 Müller-Toren – aber nicht Gerd, sondern Dieter und Hansi trafen, und schließlich ein weiteres 0:0 gegen Tunesien. Trotz des Schützenfestes gegen Mexiko keine berauschende Vorstellung der Mannschaft, bei der von den 74er-Weltmeistern nur noch Maier, Vogts und zeitweise Bonhof dabei waren – neben dem bereits 63jährigen Helmut Schön.

Überraschend spielten die Italiener mit einer jungen Mannschaft in der Vorrunde stark auf, einschließlich Sieg gegen die Gastgeber. Holland ohne Johann Cruyff dagegen hatte mehr Mühe und verlor am letzten Spieltag sogar gegen Schottland, kam aber wegen der Tordifferenz trotzdem weiter. Auch Brasilien mühte sich mit zwei Remis und einem 1:0-Sieg, so dass es schwierig wurde, einen Favoriten zu benennen. Beim 1:1 gegen Schweden pfiff der Schiri allerdings das Spiel mitten während eines Schusses der Brasilianer ab, der dann ins Tor ging. Da ich das Spiel in einer der ersten Latino-Kneipen sah, die damals in Münster aufgemacht wurden, kann man sich lebhaft die Aufregung vorstellen, die danach herrschte.

Wieder gab es eine Zwischenrunde, nur diesmal hatte man nicht so viel Glück wie 1974, als die letzten Gruppenspiele der Zwischenrunde ja praktisch die Halbfinals waren. Ganz im Gegenteil: nachdem Argentinien und Brasilien 0:0 gespielt hatten, mussten die Gauchos im letzten Spiel (das im Gegensatz zur anderen Gruppe nicht parallel zum anderen letzten Gruppenspiel lief!) mit vier Toren Vorsprung gegen Peru gewinnen, um ins Finale zu kommen. Ein schwächelnder (und nach Meinung vieler bestochener) peruanischer Torwart ermöglichte ihnen aber einen ungefährdeten 6:0-Sieg – was die Brasilianer nun endgültig auf die Palme brachte!

In unserer Gruppe spielte Schöns Truppe gegen die beiden Mitfavoriten nur unentschieden, und so mussten wir vor den letzten Spielen auf ein Unentschieden zwischen Holland und Italien und einen hohen Sieg gegen Österreich hoffen, das 1:5 gegen die Elftal verloren hatte. Daraus wurde bekanntermaßen nichts... ja, es reichte nicht einmal mehr zum Ananasfinale – aber über das Spiel brauch ich wohl auch kaum was zu erzählen. Zumal ich davon auch nicht wirklich alles mitbekam – was nicht nur an meiner viel zu vollen Stammkneipe, sondern auch an meinem viel zu vollen Kopp lag. :D

Holland hatte gleichzeitig Italien in einem der besten Spiele der WM mit 2:1 geschlagen, Und im Finale siegte schließlich Argentinien, vor allem dank eines groß aufspielenden Mario Kempes, mit 3:1 nach Verlängerung gegen Oranje. Ein flaues Gefühl blieb zwar trotzdem, wegen der feiernden Militärs auf den Tribünen und auch wegen des Peru-Spiels, aber am Spiel der Mannschaft selbst konnte man sich schon erfreuen, und der Finalsieg war auf jeden Fall verdient.

Bei drei von vier WMs, die ich bis dahin gesehen hatte, wurde also der Gastgeber am Ende Weltmeister. Bis dies erneut geschah, musste ich danach jedoch ganze 20 Jahre warten – und es geschah bis heute auch nur noch dieses eine Mal. Aber morgen geht’s erst mal weiter mit España '82 und meinem zweiten WM-Spiel im Stadion, das – soviel kann ich schon verraten – auch diesmal wieder mit 4:1 ausging. :)
 

HoratioTroche

Zuwanderer
Dann haste Du aber echt noch nie irgendwelche Reminiszenzen zum Endspiel gesehen, was ja nicht vorwerfbar ist. Ich bin mir sicher, dass das so ziemlich in jedem zusammenfassenden Bericht über das damalige Endspiel auftaucht, wie im Übrigen auch ein zwingend elfmeterreifes Foul, ich glaube noch einmal an Hölzenbein, in HZ 2.
Nee, das ist mir alles auch bildhaft präsent, wie oft sie an Maier z.b. nicht vorbeikamen und auch der nicht gegebene Elfer.
 

HoratioTroche

Zuwanderer
In der Süddeutschen Zeitung gibt es übrigens auch einen täglichen Rückblick auf die WM, die sind bei 1962 und warum Garrincha im Finale trotz Platzverweis im Halbfinale spielte.
http://www.sueddeutsche.de/sport/es-war-einmal-wm-der-gekaufte-freispruch-1.1985599

Interessantes Detail von 1950: "Trainer (...) behielt trotzdem seinen Posten, er machte mildernde Umstände geltend: die Anreise, das Wetter, der fremde Kontinent. Da verliert man halt mal gegen eine Amateurtruppe."
Gemeint sind der Engländer Winterbottom und die Niederlage gegen die USA.
 
Zuletzt bearbeitet:

huelin

Quite clear, no doubt, somehow
Die nächste Weltmeisterschaft fand also in dem Land statt, das mir in jener Zeit immer mehr ans Herz gewachsen war. Die Zeit nach dem Tod Francos und dem Übergang zur Demokratie wurde als „movida“ bekannt, eine Zusammensetzung aus „movimiento“ (Bewegung) und „vida“ (Leben) – was schon viel aussagt über die Stimmung in Spanien in jenen Jahren. Besonders Sevilla hatte es mir bei meinen Besuchen davor angetan – und so dachte ich mir: wer weiß, wann die nächste WM in Europa ist, nach 1974 in Dortmund möchte ich jetzt auch ein Spiel in dem Stadion einer weiteren Lieblingsmannschaft von mir sehen, nämlich dem „Benito Villamarín“, dem Stadion von Real Betis Balompié. :hail:

Ein Freund von mir hatte einen Bekannten in Sevilla, der uns ein möbliertes Appartement (natürlich mit Fernseher) und die Karten für das Spiel Brasilien-Schottland besorgte. Wir fuhren also eine Woche vor der WM mit seinem klapprigen Golf Diesel gen Süden, denn wir wollten vorher noch in Madrid und Barcelona vorbeischauen. Zeit hatte ich, denn ich hatte nach meinem Staatsexamen keinen Bock mehr auf das Referendariat und den Lehrerberuf gehabt und arbeitete stattdessen freiberuflich als Taxifahrer und Sprachlehrer. Und Diesel sowie der Lebensunterhalt in Spanien waren damals sehr preiswert. Dazu passte, dass meine damalige Freundin, mit der ich zusammenwohnte, gerade Prüfungen hatte, die bis zum Ende der Vorrunde dauern würden.

Aber nun zum Fußball, der mir, ebenso wie das ganze Drumherum, noch sehr lebhaft in Erinnerung geblieben ist. Inzwischen war die Teilnehmerzahl auf 24 erhöht worden, und die zwölf Gruppenersten und Gruppenzweiten sollten danach in Dreier-Zwischenrunden die Halbfinalisten ausspielen. Es begann mit einer Überraschung: Argentinien mit ihrem Jungstar Diego Maradona wurde von Belgien mit 1:0 besiegt. Und auch meine drei Lieblingsteams begannen schwach: Italien, das gerade von einem Wettskandal erschüttert worden war, mit einem 0:0 gegen Polen, Deutschland sogar mit einem 1:2 gegen Algerien, und Spanien blamierte sich mit einem 1:1 gegen den Fußballzwerg Honduras.

Auch Brasilien hatte beim spät zustandegekommenen 2:1 in Sevilla gegen die UdSSR Mühe, und an dem Tag bekamen wir schon mal einen Vorgeschmack auf die brasilianische Begeisterung durch die zahlreichen Fans in der Stadt. Und dann kam es endlich zu dem großen Tag. Das Stadion war eine einzige Fiesta, denn auch die Schotten waren zahlreich vor Ort und lautstark zu vernehmen – erst recht, als sie nach einer Viertelstunde überraschend in Führung gingen. Zico schaffte dann den Ausgleich per Freistoß, und in der zweiten Halbzeit spielte nur noch Brasilien und gewann souverän mit 4:1 – was den schottischen Fans aber keineswegs die Laune verdarb. Sie feierten einfach trotz Niederlage, ganz nach Betis-Tradition, und es kam schon im Stadion zu Verbrüderungen zwischenden beiden Fangruppen. Naja, und was danach los war, könnt ihr euch lebhaft vorstellen, denn es war Party in der ganzen Stadt angesagt... :prost:

Von dem parallel angesetzten Spiel Argentinien-Ungarn, das ebenfalls 4:1 endete, bekam ich diesmal nur eine Zusammenfassung am nächsten Tag mit. Und die meisten der restlichen Vorrundenspiele sahen wir dann in einer der zahlreichen Kneipen, wobei wir uns bei dem berühmten 1:0 zwischen Deutschland und Österreich kräftig vor den Spaniern blamierten. Wie hinreichend bekannt, war das genau das Ergebnis, das beide benötigten, denn das andere letzte Gruppenspiel zwischen Algerien und Chile war schon gelaufen – und sie spielten nach dem frühen 1:0 auch dementsprechend, womit sie sich vor allem bei den Algeriern sicher keine Freunde machten.. :isklar:

Italien hatte sich mit drei Unentschieden und nur auf Grund der mehr erzielten Treffer gegenüber Kamerun durchgesetzt, das also ohne Niederlage nach Hause fahren musste. Und auch die Spanier hatten Mühe und kamen trotz des 0:1 gegen Nordirland im letzten Gruppenspiel weiter – ein weiteres Gegentor, und sie wären raus gewesen. Den schönsten Fußball spielten eindeutig die Brasilianer und die Franzosen, die beide vor allem durch ihr Super-Mittelfeld glänzten (Zico, Sócrates, Falcão, Cerezo bzw. Platini, Giresse, Tigana und Fernandez).

Die zwei spielfreien Tage nah der Vorrunde nutzten wir dann zur Rückfahrt, auf der wir sogar noch eine Panne hatten, die uns unser letztes Geld kostete, aber zum Glück kamen wir schließlich doch noch rechtzeitig zur Zwischenrunde in Münster an. Meine Freundin hatte ihre Prüfungen erfolgreich hinter sich gebracht, und so war die Stimmung entsprechend gut, und ich freute mich darauf, die restlichen Spiele wieder zu Hause gucken zu können – die dann auch ziemlich turbulent wurden.

In der Zwischenrunde traf Deutschland auf England (0:0) und Spanien (2:1), musste aber beim letzten Gruppenspiel Spanien-England zittern, denn die Engländer wären mit einem 2:0 im Halbfinale gewesen. Zum Glück ging das Spiel aber ebenfalls 0:0 aus. Insgesamt eine sehr enttäuschende Leistung der Gastgeber. Deutlich spektakulärer war da schon die Gruppe mit Italien, Argentinien und Brasilien, in der die Azzurri am letzten Spieltag auf Brasilien trafen, nachdem beide Argentinien besiegt hatten. Der Seleção reichte ein Remis, aber ein groß aufspielender Paolo Rossi machte ihnen mit 3 Toren einen Strich durch die Rechnung.

So kam es zu den Halbfinalpaarungen Italien-Polen, das wieder durch zwei Tore von Pablito entschieden wurden, und Deutschland-Frankreich. Dieses legendäre Spiel sah ich zu Hause im Beisein eines Franzosen, der sich sehr über Toni Schumachers brutale Aktion gegen Battiston aufregte – und natürlich auch über die Niederlage im Elfmeterschießen, nachdem Frankreich in der Verlängerung schon mit 3:1 geführt hatte. Das Spiel im heißen Sevilla hatte allerdings sehr geschlaucht, Rummenigge war zudem angeschlagen, so dass die Italiener im Endspiel nach torloser erster Halbzeit keine Mühe hatten, den Pokal mit einem 3:1 nach Hause zu bringen.

Die Stimmung in Deutschland war allerdings nicht sonderlich festlich gewesen vor dem Finale, alle hatten noch das Skandalspiel gegen Österreich in Erinnerung, so dass viele meinten, diese Mannschaft hätte den Titel auch nicht verdient. Die Italiener dagegen hatten sich während des Turniers immer mehr gesteigert, mit einem überragenden Bruno Conti, einem meiner Lieblingsspieler aller Zeiten, und dem 40jährigen Dino Zoff im Tor. Ich persönlich freute mich sehr über diesem ersten WM-Sieg der Azzurri seit 44 Jahren, der sogar in Münster von den vielen Italienern in der Stadt mit einem Autocorso samt Hupkonzert gebührend gefeiert wurde.

Morgen geht es dann also um die WM 1986, die wieder in Mexiko stattfand, nachdem Kolumbien ziemlich kurzfristig absagen musste.
 

huelin

Quite clear, no doubt, somehow
Ich dachte eigentlich, bei den ganzen 80er-Jahre-Freaks hier im Forum kommen mehr Kommentare zu dem WMs in dem Jahrzehnt. :weißnich: Aber egal, es geht weiter...

Was habe ich gestern geschrieben? Kolumbien musste ziemlich kurzfristig absagen? Tja, es waren immerhin drei Jahre vorher, so kann einen die Erinnerung täuschen. Zum Glück kann man das ja alles nachschlagen, und deshalb beruhen meine Beiträge in diesem Thread auch nicht nur auf Erinnerungen, sondern – vor allem was die Termine betrifft – natürlich auch auf Informationen aus dem Netz. Nur ein Beispiel: dass im Parallelspiel zu Brasilien-Schottland Argentinien spielte, das wusste ich noch, aber der Gegner war mir tatsächlich entfallen...

Insgesamt ist die Erinnerung an die nun folgende WM 1986 in Mexiko aber bei mir weniger ausgeprägt als die an 1982. Das kommt auch daher, dass ich mehr Spiele zu Hause schaute, denn inzwischen machte ich eine Umschulung zum „Organisationsprogrammierer“ – Programmiersprache COBOL im IBM-Betriebssystem /36, falls das noch jemand kennt. Damit war auch klar, dass ich Münster wahrscheinlich bald verlassen musste, denn hierfür wurden in der Stadt kaum Jobs angeboten. Und für die WM bedeutete dies einen ziemlichen Schlafmangel... wobei – an einigen Tagen hab ich wohl auch den Unterricht geschwänzt oder nur im Tiefschlaf erlebt... :gaehn:

Das Dilemma bei dieser WM und den beiden darauffolgenden war ganz eindeutig die Regelung der Vorrunde, nämlich dass 16 von 24 Mannschaften weiterkamen. Dies führte – zumal es noch keine Drei-Punkte-Regelung gab – zu zahlreichen vorsichtigen Spielen und Unentschieden, besonders zwischen den Favoriten. Etwa beim 1:1 zwischen Italien und Bulgarien im Eröffnungsspiel, oder beim 1:1 zwischen Deutschland und Uruguay, unserem ersten Spiel.

Unter dem neuen „Teamchef“ Franz Beckenbauer spielte unsere Mannschaft ziemlich rationell, zumal einige Ausfälle oder angeschlagene Spieler zu beklagen waren. So war die Vorrunde wahrlich kein Ruhmesblatt, denn nach dem 2:1-Sieg gegen Schottland im zweiten Spiel wurde gegen Dänemark mit 0:2 verloren. Die Dänen waren bei ihrer ersten Teilnahme eines der Überraschungsteams und schafften den Gruppensieg, was ebenfalls für Marokko galt. Ansonsten setzten sich weitgehend die Favoriten durch.

Im Achtelfinale trafen unsere Jungs dann auf die besagten Marokkaner und gewannen erst kurz vor Schluss durch ein Freistoßtor von Matthäus. Außerdem flog Titelverteidiger Italien mit 0:2 gegen Frankreich raus, und die in der Vorrunde starken Russen verloren mit 3:4 gegen Belgien in der Verlängerung, wobei sie relativ krass vom Schiri benachteiligt wurden. Mich persönlich freute aber besonders das 5:1 der wiedererstarkten Spanier gegen Dänemark, mit vier Toren des wuseligen „Buitre“. Da einige in dem Umschulungskurs sehr für Dänemark waren, weiß ich noch genau, wie ich am nächsten Morgen den Klassenraum mit erhobener Faust und dem Ruf „Butragueño!“ betrat. ;)

Leider flog die Roja aber dann im Viertelfinale gegen Belgien im Elfmeterschießen raus – womit der berühmte, bis 2008 anhaltende „Viertelfinalfluch“ seinen Anfang nahm. Auch unsere Mannschaft brauchte gegen Gastgeber Mexiko das Elfmeterschießen, um weiterzukommen, wobei Toni Schumacher erneut eine Glanzleistung bot. Und schließlich ging noch ein drittes Viertelfinale ins Penaltyschießen, nämlich Brasilien-Frankreich, in dem es vorher hin und her gegangen war, mit zahlreichen Torszenen auf beiden Seiten – wahrscheinlich das beste Spiel bei dieser WM.

Legendärer aber war noch das Aufeinandertreffen zwischen Argentinien und England, drei Jahre nach dem Falkland-Krieg. In diesem Spiel machte der Star dieser WM, Diego Maradona, ein denkwürdiges Tor, bei dem er die halbe englische Mannschaft ausdribbelte, woraufhin sogar eine Gedenktafel über das Tor im Aztekenstadion aufgestellt wurde. Und dann natürlich sein zweites Tor in diesem Spiel – die berühmte „Hand Gottes“, zu der ich wohl nicht mehr viel sagen muss...

Zu meiner Stammkneipe war inzwischen eine neue Latino-Kneipe in Münster geworden, die von einem Argentinier betrieben wurde, so dass ich mir vor allem die argentinischen Spiele dort bevorzugt anschaute. Etwa das überzeugende 2:0 gegen Belgien im Halbfinale – wieder mit zwei Maradona-Toren. Deutschland hatte Frankreich zuvor mit dem gleichen Ergebnis geschlagen, aber der Sieg war dennoch etwas glücklich und auch durch eine erneut starke Torhüterleistung zustande gekommen.

Das Endspiel sah ich dann ebenfalls wieder in meiner überfüllten Stammkneipe, wobei erstaunlich viele Deutsche Sympathien mit den Argentiniern hatten – naja, es waren halt viele Latino-Fans darunter... Ausgerechnet in diesem Spiel hatte Toni Schumacher allerdings nicht seinen besten Tag – eine Parallele zu Olli Kahn 16 Jahre später. Trotzdem war der argentinische Sieg verdient, bei dem der von Matthäus in Manndeckung genommene Maradona zwar diesmal nicht traf, aber mit einem genialen Pass immerhin den Siegtreffer von Burruchaga vorbereitete. Da der Kneipenwirt anschließend ein paar Runden Freibier ausschenkte, wurde es noch eine lange Nacht...

Vor dem nächsten WM-Turnier in meiner alten Heimat Italien überlegte ich dann ernsthaft, wieder ins Ausrichterland zu reisen, um mir ein Spiel im Stadion anzuschauen, wobei mich besonders San Siro, die Heimat meiner alten Liebe Inter, reizte. Warum ich die Idee aber schließlich doch verwarf, erzähle ich euch morgen... :)
 

Oldschool

Spielgestalter
Moderator
ööhmm... huelin, "die Hand Gottes" kam zuerst, danach das Dribbel-Tor des Jahrhunderts. Maradona ist ein geniales A...loch, für mich schon damals kein Vorbild.
 

huelin

Quite clear, no doubt, somehow
ööhmm... huelin, "die Hand Gottes" kam zuerst, danach das Dribbel-Tor des Jahrhunderts. Maradona ist ein geniales A...loch, für mich schon damals kein Vorbild.
Da siehste mal, dass ich die Daten eigentlich fast alle nachgucken müsste... ;)
Geniale Arschlöcher gibt's ja viele, auf ihre Art. Einer davon sitzt zum Beispiel seit kurzem in Landsberg... :floet:
 

huelin

Quite clear, no doubt, somehow
Die Qualifikation zur nun folgenden WM 1990 in Italien schaffte Deutschland nur recht knapp durch ein Hässler-Tor beim 2:1 im letzten Spiel gegen Wales. Als dann der deutsche Spielort Mailand feststand, erkundigte ich mich sofort über die Möglichkeiten, Karten und ein Hotel zu bekommen. Beides erwies sich aber als kompliziert und vor allem sehr teuer, zumal ich diesmal niemanden vor Ort hatte, der mir dabei helfen konnte. Und extra aus Berlin, wo ich inzwischen wohnte und als Progammierer arbeitete, für einen Tag nach Mailand zu reisen, reizte mich dann auch nicht so.

Zudem hatte ich für nach Weihnachten 1989 schon eine Brasilienreise geplant, die mich ebenfalls ziemlich viel Geld kosten würde, so dass ich den Plan schließlich verwarf – schade, denn Italien wäre die perfekte Ergänzung zu Deutschland und Spanien gewesen, ebenso perfekt wie das Stadion von Inter zu dem der Borussia und von Betis. Immerhin konnte ich es mir so eher leisten, im September wieder nach Rio zu fliegen, wo ich eine Sprachschule gefunden hatte, in der ich hätte ein paar Monate arbeiten können (zumal ich mit meinem Job recht unzufrieden war und die Kündigung plante). So erlebte ich die WM schließlich in der Hauptstadt, meist bei mir zu Hause, bei Freunden oder in der Kneipe.

Es begann wie vor 8 Jahren mit einer 0:1-Niederlage von Titelverteidiger Argentinien, diesmal sogar gegen den Außenseiter Kamerun. Der Auftakt unserer Elf dagegen machte Lust auf mehr, denn dank eines überragenden Matthäus wurde Jugoslawien mit 4:1 weggefegt. Ansonsten bot die Vorrunde aber auch viel Langeweile, so dass die WM bis heute die torärmste der Geschichte ist, was schließlich sogar zur Einführung der Rückpassregel führte. Bezeichnend die Gruppe F mit England, Holland und Irland, in der es 5 Unentschieden gab und insgesamt nur 7 Tore fielen.

Gastgeber Italien spielte nicht spektakulär, aber sehr souverän mit drei Zu-Null-Siegen, und ein bis dahin unbekannter Toto Schillaci wurde zum Helden, neben dem genialen Roberto Baggio und einer wie üblich starken Abwehr. Die größten Überrschungen waren wohl der Gruppensieg von Kamerun und die beiden Siege von Costa Rica gegen Schottland und Schweden. Nach einem klaren 5:1 gegen die Emirate ließ unsere Mannschaft die Vorrunde schließlich mit einem müden 1:1 gegen Kolumbien mit den „bunten Vögeln“ Higuita und Valderrama ausklingen.

Auch die Ko-Runde bot dann leider viel defensiven Fußball. Von den 14 Spielen bis zum Finale gingen 8 in die Verlängerung, und vier wurden durch Elfmeterschießen entschieden – die meisten davon leider für die Falschen, was meine Vorlieben betraf. Dies galt allerdings nicht für das erste Achtelfinale Kamerun-Kolumbien, in dem ein 38jähriger, inzwischen wieder in seiner Heimat spielender Roger Milla mit zwei Toren in der Verlängerung zum Helden wurde – wobei er auch von einem der gewagten Ausflüge des kolumbanischen Torwarts Higuita profitierte.

Ich hatte in Berlin inzwischen einige Brasilianer kennengelernt (auch um die Sprache zu praktizieren), mit denen ich die Spiele der Seleção schaute, und alle waren sie ziemlich schockiert oder gar in Tränen aufgelöst über das anschließende 0:1 gegen ultradefensive Argentinier, bei denen Maradona diesmal mehr als Vorbereiter glänzte, meist für den langhaarigen Claudio Caniggia. Und dann kam es zu dem legendären 2:1 unserer Elf gegen Holland, in dem Klinsmann sein wohl bestes Spiel im Adlertrikot machte, und Rijkaard Völler nach einer rassistischen Beleidigung (so hieß es jedenfalls vielfach in der internationalen Presse) bespuckte, wofür beide vom Platz folgen.

Italien setzte sich locker mit 2:0 gegen Rumänien durch, während die in der Vorrunde recht starken Spanier in der Verlängerung gegen Jugoslawien die Segel streichen mussten. Diese schieden dann im Viertelfinale gegen die unsympathischsten Argentinier aller Zeiten im Elfmeterschießen aus, wohingegen Italien (1:0 gegen Irland) und Deutschland (1:0 gegen die Tschechoslowakei durch Elfmeter) sich mehr oder weniger mühsam durchsetzten. Das letzte Viertelfinale wurde dann zum wohl besten Spiel dieser WM. Leider mit dem falschen Sieger, denn England bezwang die unbezwingbaren Löwen um Roger Milla mit 3:2 – natürlich wieder nach Verlängerung.

Im Halbfinale erlebte ich dann eines der frustrierendsten Spiele meines Lebens. Ich hätte es diesmal den Gastgebern besonders gegönnt, doch nach den 1:0, wie üblich durch Schillaci, fingen sich die Azzurri in Maradonas "Heimat" Neapel noch ein unglückliches Gegentor und schieden schließlich im Elfmeterschießen aus, nachdem sie vorher ziemlich von den Argentiniern zusammengetreten worden waren. Da war auch der Sieg unserer Jungs gegen England mit dem gleichen Ergebnis nur ein schwacher Trost, so dass meine Stimmung vor dem Endspiel ziemlich auf dem Nullpunkt war, denn ich hatte mich so sehr auf ein Finale Italia-Germania gefreut.

Nun, das Finale in Rom, bei dem die Argentinier auf den gesperrten Caniggia verzichten mussten, wurde dann zu einem der schwächsten WM-Endspiele aller Zeiten, in dem die weniger schlechte Mannschaft schließlich durch einen zweifelhaften Elfmeter (genau wie 16 Jahre zuvor) den Titel holte. Aus Frust hatte ich mir gleich nach dem Halbfinale mein Brasilien-Ticket geholt und dachte ab da nur noch an meinen zweiten, diesmal längeren Aufenthalt im Land des diesjährigen WM-Ausrichters.

Wir schon gesagt, fußballerisch gab es bei der WM 1990 viel Magerkost – aber das Drumherum muss wohl großartig gewesen sein, so dass der Titel des WM-Songs „Notti magiche“ es sicher ganz gut traf. Ein bisschen bereute ich es daher während des Turniers, dass ich nicht wieder vor Ort gewesen war, obwohl ich mich eigentlich über eine mangelnde WM-Atmosphäre in meiner Umgebung auch nicht beklagen konnte.

Morgen geht es dann in die USA, mit dem Stinkefinger von Effenberg und der Hitzeschlacht des Endspiels in Los Angeles.
 

huelin

Quite clear, no doubt, somehow
Für 1994 war die WM also zum ersten Mal in ein Land vergeben worden, in dem der Fußball nicht der populärste Sport ist. Dennoch kamen so viele Zuschauer wie nie zuvor zu den Spielen – allerdings tummelte sich häufig ein typisch US-amerikanisches Picknick-Publikum auf den Rängen, und die Stimmung war dementsprechend: viele „Ohs“ und „Ahs“, aber wenig Sprechchöre oder dergleichen. Hinzu kam die große Hitze durch die frühen Anstoßzeiten, vor allem in den südlicher gelegenen Städten (Dallas, Los Angeles usw.)

Meine persönliche Situation hatte sich erneut geändert, ich war inzwischen fest angestellt in einer Firma, die sich um ökologisches Bauen kümmerte, und bei der ich unter anderem als Übersetzer bei europäischen Austauschprojekten arbeitete. Dadurch musste ich natürklich für die ersten WM-Wochen Urlaub nehmen, denn die Spiele gingen oft bis spät in die Nacht. Ich sah aber diesmal kaum Spiele in der Kneipe, sondern meist zu Hause oder bei Freunden. Und es war auch in Berlin warm, das weiß ich noch, so dass ich die Zeit tagsüber ebenfalls genießen konnte.

Unsere Mannschaft, inzwischen unter der Regie von Berti Vogts, war diesmal im Gegensatz zu 1974 nach dem Titel nicht runderneuert worden. Neu in der Stammelf waren allerdings Matthias Sammer und Stefan Effenberg im Mittelfeld, so dass die Mannschaft auf dem Papier erneut sehr stark war. Trotzdem war die Vorrunde alles andere als berauschend. Ein mageres 1:0 gegen Bolivien im WM-Eröffnungsspiel, ein 1:1 gegen Spanien, und ein 3:2 gegen flinke Südkoreaner, die am Ende kurz vor dem Ausgleich standen. Auffälligste Szene war dabei natürlich der berühmte Stinkefinger von Effenberg gegenüber ein paar pfeifenden deutschen Zuschauern, der ihn den Ausschluss aus dem Team kostete.

In der Vorrunde überraschten vor allem Saudi-Arabien, Rumänien (mit ihrem Star Hagi) und Nigeria mit je zwei Siegen, doch die Schlagzeilen gehörten besonders zwei südamerikanischen Spielern. Der inzwischen 33jährige Diego Maradona, der die WM wie aufgedreht begonnen hatte, erwies sich nämlich nach dem zweiten Spiel gegen Nigeria als gedopt und musste nach Hause fahren, womit eine große Karriere im Nationalteam ihr Ende nahm.

Schlimmer noch ging es Kolumbiens Kapitän Andrés Escobar, der beim überraschenden 1:2 gegen die USA ein Eigentor erzielte, das schließlich zum Ausscheiden des Teams führte. Ein paar Tage danach wurde er in Medellín erschossen – möglicherweise weil jemand herausgefunden hatte, dass er gegen sein eigenes Team gewettet hatte, wie mir viele Leute bei meinem Besuch in Kolumbien zweieinhalb Jahre später beteuerten. Aber es kursierten mehrere Versionen über die genaue Ursache, die von der Wut eines enttäuschten Fans bis zur Verwicklung des Spielers in Drogengeschäfte reichten.

Zu erwähnen wäre auch noch die mühsame Qualifikation Italiens, bei der ich Blut und Wasser schwitzte. Nach dem 0:1 gegen Irland gelang Dino Baggio im zweiten Spiel der 1:0-Siegtreffer mit 10 Mann gegen Norwegen, da Torwart Pagliuca den Ball schon nach 20 Minuten außerhalb des Strafraums mit der Hand gespielt hatte. Und im dritten Spiel gab es ein ebenso mühsames 1:1 gegen Mexiko, das gerade noch mal so für das Achtelfinale reichte. Dabei war die Mannschaft mit Spielern wie Baresi, Maldini oder Roberto Baggio wahrlich nicht schlecht besetzt.

Im Achtelfinale kam dann das Aus für die maradonalosen Argentinier gegen Rumänien, ebenso wie für Gastgeber USA, der sich aber beim 0:1 gegen Brasilien wacker schlug. Italien brauchte die Verlängerung, um die starken Nigerianer mit zwei Toren des „codino divino“ (göttlicher Zopf), wie der geniale Roberto Baggio genannt wurde, zu bezwingen, und unsere Truppe setzte sich mit einem starken Rudi Völler gegen Belgien mit 3:2 durch.

Die verbleibenden italienischen Spiele sah ich daraufhin bei einem italienischen Bekannten in einer Gruppe seiner Landsleute, und das 2:1 gegen Spanien im Viertelfinale wurde dann ziemlich turbulent für die Azzurri. Roberto und Dino Baggio trafen – ebenso wie Mauro Tassotti, aber der traf nicht mit dem Ball ins Tor, sondern mit dem Ellenbogen den Spanier Luis Enrique im Strafraum, ungesehen vom Schiedsrichter, aber später mit 8 Spielen Sperre bestraft.

Das spektakulärste Spiel dieser WM war aber erneut ein 3:2, diesmal zwischen Brasilien und Holland. Die Brasilianer hatten unter dem Globetrotter Carlos Alberto Parreira nach 24 Jahren ohne Titel ihren Stil geändert und traten jetzt kampfstärker und rationeller auf, verkörpert vor allem durch ihren südbrasilianischen Kapitän Dunga. Im Angriff zauberten allerdings die flinken Romário und Bebeto, insbesondere in diesem Viertelfinalspiel gegen starke Holländer.

Und dann kam es für unsere Mannschaft zu der berühmten Schlappe gegen Bulgarien im Giants Stadium. Nach der Führung durch einen Elfmeter von Matthäus konnten der exzentrische Christo Stoichkov und der beim HSV spielende Letchkov den Spieß noch umdrehen, der bei seinem Tor – nur von dem kleinen Hässler beschattet – frei zum Kopfball kam. Berti Vogts wurde anschließend viel geschmäht, durfte aber weitermachen, was in diesem Falle zumindest für die nächste EM kein Nachteil war.

In den Halbfinals setzten sich dann die Favoriten Italien (2:1 gegen Bulgarien durch zwei Tore von Roberto Baggio) und Brasilien (1:0 gegen Schweden durch Romário 10 Minuten vor Schluss) durch, und so kam es um 12 Uhr mittag im heißen Pasadena zu einem doch recht zähen Endspiel, in dem es immerhin mehr Torchancen gab als 4 Jahre zuvor in Rom. Trotzdem fielen nach 120 Minuten keine Tore, und zum ersten Mal musste die Weltmeisterschaft durch Elfmeterschießen ausgespielt werden. Die Bilder eines verzweifelten Roberto Baggio nach seinem entscheidenden Fehlschuss in den kalifornischen Himmel sind wohl jedem noch in Erinnerung, der diese WM erlebt hat.

Es war sicher nicht die beste WM, die ich gesehen habe, aber die Ko-Runde war noch einmal ziemlich spannend geworden, und die Überrraschungen blieben ja auch nicht aus. Für die nächste WM 1998 in Frankreich wurde dann die Teilnehmerzahl auf 32 Teams erhöht, was zumindest den Vorteil hatte, dass diese dämliche „Beste vier Dritte“-Regelung in der Vorrunde endlich wegfiel. Aber dazu wie gewohnt morgen mehr.
 

Detti04

The Count
Erst einmal Danke fuer Deine Berichte, huelin, denn diese finde ich sehr lesenswert. Zu Andres (und Pablo) Escobar gibt es eine sehr sehenswerte Dokumentation, die man inzwischen in voller Laenge auf youtube schauen und welche ich nur empfehlen kann:

 

huelin

Quite clear, no doubt, somehow
Vier Jahre später kehrt die WM nach Europa zurück. Und die WM in Frankreich wurde für mich zur besten seit 20 Jahren, was auch an der Rückkehr zum Modus mit zwei qualifizierten Teams pro Gruppe lag. Meine persönliche Situation hatte sich nicht verändert, was Wohnung und Job betrifft. Aber ich hatte vier Monate zuvor bei einem Andalusienurlaub meine zukünftige Frau kennengelernt, die mich dann gegen Ende der WM in Berlin besuchte – woraus ein halbjähriger Aufenthalt wurde, der schließlich mit meiner Auswanderung endete....

Bertis Elf gehörte als Europameister zu den Favoriten und hatte eine machbare Gruppe mit USA, Jugoslawien und Iran erwischt. Das Weiterkommen war trotz eines 2:2 gegen Jugoslawien im zweiten Spiel denn auch niemals gefährdet. Leider ereignete sich vor diesem Spiel in Lens ein tragischer Zwischenfall, bei dem ein französischer Bereitschaftspolizist von einem deutschan Hooligan so schwer verletzt wurde, dass er heute noch darunter leidet.

Das Niveau und die Anzahl der Tore in der Vorrunde steigerten sich zwar gegenüber den letzten Turnieren, aber Überraschungen gab es trotzdem nicht sonderlich viele. Dazu gehörte sicherlich die 2:3-Niederlage der Spanier gegen Nigeria, die durch einen Torwartfehler von Zubizarreta bei einem Weitschuss von Sunday Oliseh zustande kam. Am Ende kostete diese Niederlage den Spaniern die Qualifikation fürs Achtelfinale.

Frankreich mit seinem Star Zinedine Zidane erzielte ebenso wie Argentinien (in der exotischen Gruppe mit Japan und Jamaika) drei lockere Siege. Brasilien dagegen musste im letzten Spiel ein 1:2 gegen Norwegen hinnehmen, und auch England wurde am zweiten Spieltag mit dem gleichen Ergebnis von Rumänien geschlagen. Italien und Holland wiederum wurden zwar Gruppenerste, hatten dabei aber einige schwierige Momente zu überstehen.

In den Kreuzberger WM-Kneipen war häufig ein ziemlich internationales Publikum anzutreffen, mit Italienern, Franzosen, Brasilianern, Holländern... und so schaute ich im Laufe des Turniers immer mehr Partien außer Haus, ohne mich dabei weit von meiner Wohnung entfernen zu müssen. Dabei wurde zwar heftig mitgefiebert, aber immer in einer sehr entspannten und heiteren Stimmung. Die ganze Atmosphäre in meiner Umgebung bei dieser WM habe ich daher noch in ausgesprochen guter Erinnerung.

Im Achtelfinale konnten sich unsere Jungs dann dank ihrer Überlegenheit bei hohen Bällen mit 2:1 gegen Mexiko durchsetzen, ohne allerdings zu glänzen. Mühe hatten auch Italien (1:0 gegen Norwegen durch Christian Vieri) und Frankreich, das sich erst durch ein Golden Goal von Blanc gegen starke Paraguayer das Weiterkommen sicherte, woraufhin deren Torwart Chilavert seine vielfach in Tränen aufgelösten Mitspieler wie ein Vater trösten musste. Locker dagegen das Weiterkommen der Brasilianer gegen ihren "Lieblingsgegner" Chile.

Die in der Vorrunde überraschend starken Nigerianer mussten dann mit 1:4 gegen Dänemark die Segel streichen. Holland und Kroatien mit ihren Stars Bergkamp und Šuker siegten knapp gegen Jugoslawien bzw. Rumänien, aber das Aufsehen erregendste Achtelfinale war mal wieder die Begegnung zwischen Argentinien und England. Nach einer Viertelstunde hatte Michael Owen durch ein wunderschönes Tor zum 2:1 getroffen, doch noch vor der Pause konnte der große Javier Zanetti ausgleichen. Anfang der zweiten Halbzeit ließ sich dann Englands Star Beckham zu einem rüden Foul im Mittelfeld verleiten und flog vom Platz. Trotzdem hielten die Engländer das 2:2 bis zur 120. Minute und zogen dann – wie konnte es anders sein – im Elfmeterschießen den Kürzeren.

Das Viertelfinale Frankreich-Italien, bei dem das erste Mal meine zukünftige Frau mitschaute, wurde dann ebenfalls durch Elfmeterschießen entschieden, und zwar für den Gastgeber ,nachdem die Azzurri kurz vor Schluss eine Hundertprozentige ausgelassen hatten. Auch die nächsten beiden Viertelfinals (Brasilien-Dänemark 3:2 und Holland-Argentinien 2:1) boten Spannung und Klasse, und anschließend kam es dann zu der Blamage von Lyon gegen Kroatien, das nach Wörns' Platzverweis kurz vor der Halbzeit leichtes Spiel hatte und mit 3:0 triumphierte, was auch das Ende von Bertis Zeit als Bundestrainer bedeutete.

Das erste Halbfinae in Marseille war dann für mich eindeutig das beste Spiel der WM. Brasilien mit ihrem Stürmerstar Ronaldo und Holland mit dem genialen Bergkamp und unter Trainer Hiddink lieferten sich beim 1:1 einen tollen Schlagabtausch, den die Südamerikaner am Ende vom Elfmeterpunkt aus für sich entscheiden konnten. Im zweiten Halbfinale bezwang Frankreich durch zwei Treffer von Abwehrspieler Lilian Thuram nach 0:1-Rückstand die zähen Kroaten.

Vor dem Finale gab es bei den Brasilianern heftige Diskussionen um den angeschlagenen Ronaldo, dessen Ausrüster wohl Druck machte, ihn im Endspiel unbedingt aufzustellen. Trainer Zagallo gab dem schließlich nach und stellte ihn auf, was sich als Fehler erwies. Wir sahen das Finale in meiner Stammkneipe, wo sich auch eine stattliche Zahl an Franzosen und Brasilianern eingefunden hatten, zumal am Tag zuvor die Love Parade stattgefunden hatte. Und die Franzosen dominierten das Finale dank zweier Kopfballtore von Zidane und gewannen schließlich mit 3:0, womit ich damals durchaus zufrieden war.

Tja, und ein halbes Jahr später wohnte ich dann bereits hier in Málaga, wobei mir bei der nachfolgenden WM in Japan und Südkorea mein Status als selbständiger "Heimarbeiter" wegen der morgendlichen Anstoßzeiten sehr zugute kam. Warum mir die WM 2002 trotzdem in eher schlechter Erinnerung blieb, werde ich euch dann morgen schildern...
 
Zuletzt bearbeitet:

huelin

Quite clear, no doubt, somehow
Stimmt, hab's auch schon gemerkt, war aber zu faul zum Korrigieren. Muss aber wohl sein... ;)
 

HoratioTroche

Zuwanderer
Im späteren Jubel über die Spielkunst der Franzosen ging etwas unter, dass sie sich nach der Vorrunde recht schwer taten, in allen drei Spielen gegen Paraguay, Italien und Kroatien. Wobei das Fehlen von Zidane auch eine Rolle spielte, der war ja gegen Paraguay noch gesperrt.

Übrigens soweit ich weiß der einzige Spieler, der bei zwei WM mit Rot vom Platz flog.
 

Ichsachma

Loretta-Spezerl
:weißnich: Da muss ich leider widersprechen, nach meinem Empfinden wird aus der 2. HZ meistens das Abwehrverhalten von Maier hervorgehoben, der das 2:1 festhielt. Auf ein nicht gegebenes 3:1 wird nicht hingewiesen, aber ich hatte das Spiel ja damals gesehen. Hier im board, unterstelle ich mal, hätte mir das ohne Quelle womöglich keiner geglaubt. Ich musste auch lange nach einem brauchbaren Dokument suchen, leider habe ich nicht verstanden, was dort auf spanisch gesagt wird. Aber die Bilder sprechen für sich.

Echt, ob Du es glaubst oder nicht: ich habe jetzt nicht nachgegoogelt, aber bin mir sicher, dass von der Führungskamera aus im rechten Strafraum über halblinks in den Strafraum gedribbelt wurde und van Hanegem das Foulspiel beging.
 

huelin

Quite clear, no doubt, somehow
10. Juni, das bedeutet: meine zehnte WM steht ins Haus. Wir sind inzwischen im neuen Jahrtausend, ich bin seit drei Jahren verheiratet und habe einen zwei Jahre alten Sohn – aber was für die WM 2002 am wichtigsten ist: ich arbeite endlich freiberuflich zu Hause! Denn die meist morgendlichen oder mittäglichen Anstoßzeiten sind für arbeitende europäische Fußballfans ein Gräuel. Allerdings werden nicht alle Spiele im Free-TV übertragen, soweit ich mich erinnern kann, und was noch schlimmer war: auch nicht in den Kneipen meines Viertels. Das ging so weit, dass ich das Spiel Argentinien-Nigeria sonntagmorgens um 7:30 in einer argentinischen Kneipe in 10 km Entfernung sehen musste!

Wie bekannt, war die WM auch die erste und bisher einzige, die in zwei Ländern ausgetragen wurden – noch dazu in zwei Ländern, deren geschichtliche Beziehung ziemlich problematisch war. In dieser Hinsicht gab es aber keine Probleme, es hieß damals eher, eine gewisse Annäherung habe die WM durchaus bewirkt. Der größte Nachteil war die Setzliste in den Ko-Spielen, denn um den Teams weite Flüge zu ersparen, konnte ein Team auf die Hälfte aller Mannschaften erst im Endspiel treffen.

Bevor ich aber zum Fußballerischen komme, muss ich auch noch kurz erwähnen, dass ich ein paar Wochen vor der WM im kicker-Forum schon einige der heutigen Teilnehmer dieses Forums kennengelernt hatte, wie etwa Dilbert, Gaviao oder Ichsachma – ohne Anspruch auf Vollständigkeit. :huhu:

Schon im Eröffnungsspiel in Seoul gab es eine faustdicke Überraschung. Welt- und Europameister Frankreich wurde mit 0:1 von Senegal geschlagen! Die Franzosen mussten allerdings auf den angeschlagenen Zidane verzichten, der dann zwar ab dem zweiten Spiel eingesetzt wurde, aber viel zu früh, wie sich herausstellte. Überhaupt gab es viele Ausfälle, und zum ersten Mal wurde vor der WM in dieser Intensität über den aufgeblähten Spielplan diskutiert, auch durch das seit drei Jahren geltende Format der CL mit 32 Teams. Jedenfalls war das Gesamtniveau bei dieser WM, vielleicht auch wegen der ungewohnten Bedingungen, doch recht überschaubar.

Aber nun zur deutschen Mannschaft. Nach der Katastrophe bei der EM 2000 und dem Wirbel um Daums Haarprobe hatte Rudi Völler kurzfristig das Zepter übernommen. Die Generation um Matthäus, Hässler und Klinsmann war von der Bühne abgetreten, und Spieler wie Kahn und Ballack gaben jetzt den Ton an. Allerdings gab es vor der WM einige Ausfälle, so dass die Erwartungen im Lande doch relativ niedrig waren - fast vergleichbar mit der heutigen Situation.

Um so überraschender dann das starke Auftreten von Leuten wie Metzelder, Kehl, Neuville oder Klose. Im ersten Spiel gab es ein 8:0 gegen Saudi-Arabien mit drei Klose-Toren, danach tat sich die Mannschaft beim 1:1 gegen die zähen Iren aber schwer, und im letzten Gruppenspiel, dem 2:0 gegen Kamerun, wurde dann mit 14 Gelben und zwei Gelb-Roten der auch heute noch gültige Kartenrekord bei WM-Spielen aufgestellt.

Soweit die Vorrunde der Deutschen. Aber die Überraschungen gingen nach dem Eröffnungsspiel munter weiter, besonders in Gruppe A, wo sich Dänemark und Senegal gegen Uruguay und Frankreich durchsetzten, und in Gruppe D, wo dies Südkorea und die USA statt der favorisierten Portugiesen und Polen schafften. Aber auch Argentinien überstand die Vorrunde nicht, und Italien machte es mal wieder spannend, kam aber dann dank gütiger Mithilfe von Ecuador gegen Kroatien doch noch weiter.

Stark hatte auch Japan in der Vorrunde gespielt und wurde Gruppensieger vor Belgien und Russland. Und Spanien schaffte ebenso wie Brasilien ziemlich locker drei Siege, was die WM-Begeisterung hier aber noch nicht wirklich auf „deutsche“ Ausmaße wachsen ließ... „Erst wenn wir das Viertelfinale überstehen“ war eine weit verbreitete Einstellung. Fahnen waren damals jedenfalls noch nicht viele zu sehen – in dem Land, das sechs Jahre später damit beginnen sollte, seine lange Titellosigkeit recht heftig zu kompensieren...

Hatte ich in der Vorrunde die Spiele noch, soweit es ging, zu Hause gesehen, suchte ich mir jetzt immer öfter eine Kneipe, in der Fans der beteiligten Teams zusammenkamen. Was Spanien, Brasilien, Deutschland und Italien betrifft, hatte ich es da nicht allzu weit, aber um etwa eine dänische Kneipe ausfindig zu machen, musste ich auch schon mal das inzwischen immer populärer werdende Internet bemühen – oder mich einfach durchfragen, denn das Netz wurde Anfang des Jahrhunderts hier noch lange nicht von allen genutzt.

Auch im Achtelfinale gab es dann einige Überraschungen. Senegal schliug Schweden, die USA schlugen Mexiko, Spanien brauchte das Elfmeterschießen gegen Irland, und Japans Traum wurde von der Türkei brüsk gestoppt. Unser Team hatte sich mit einem glanzlosen 1:0 gegen Paraguay durch Neuville durchgesetzt, aber das letzte Spiel sorge für das größte Aufsehen: Italiens Korea-Trauma griff jetzt nämlich auch auf den Süden über, denn sie verloren in Daejeon mit 1:2 n.V. gegen die Gastgeber – nachdem ein gewisser Byron Moreno aus Ecuador samt seiner Assistenten einige seltsame Entscheidungen getroffen hatte.

Mindestens genauso krass wurden die durch eine generalstabsmäßig organisierte Fan-„Begeisterung“ angetriebenen Südkoreaner dann im Viertelfinale gegen Spanien bevorzugt und erreichten so nach einem 0:0 das Halbfinale im Elfmeterschießen – und sofort war hier wieder die übliche resignative Haltung gegenüber der Selección angesagt... gemischt mit einigem Galgenhumor... ihr wisst schon: der Fluch... Aber auch mir waren die beiden Spiele der Südkoreaner ziemlich heftig auf den Magen geschlagen.

Brasilien mit seinen Stars Ronaldo und Rivaldo hatte zuvor England 2:1 geschlagen, und dann lieferte unsere Elf gegen die USA ein ziemlich tristes Spiel ab, bei dem der Gegner eindeutig die besseren Chancen hatte, aber immer wieder an einem grandiosen Oliver Kahn scheiterte, der ein sehr starkes Turnier spielte. Und so brachte uns ein Ballack-Tor vor der Pause am Ende ins Halbfinale, das schließlich von der Türkei komplettiert wurde, die sich gegen Senegal mit 1:0 nach Verlängerung durchsetzte.

Die Halbfinals waren dann nicht unbedingt fußballerische Leckerbissen. Die Südkoreaner hatten sich wohl gedacht, mehr Schiris brauchen wir nicht zu bestechen, das würde zu sehr auffallen – und spielten diesmal ziemlich zahnlos, so dass uns ein erneutes Ballack-Tor die vor dem Turnier ziemlich unerwartete Finalteilnahme bescherte. Leider sah Ballack dabei die zweite gelbe Karte der Finalrunde, wodurch er fürs Endspiel gesperrt war, das die Brasilianer schließlich durch ein Ronaldo-Tor gegen die überrschand starken Türken ebenfalls erreichten.

In Yokohama fiel also unser zweitbester Mann Ballack aus – und eigentlich auch unser bester, denn genau wie Schumacher 1986 patzte Kahn ausgerechnet im Endspiel, als er einen eher harmlosen Rivaldo-Weitschuss vor die Füße des einschussbereiten Hasenzahns abprallen ließ. Dieser machte mit zwei Toren den Sieg der Brasilianer klar, obwohl unsere Mannschaft im Finale wahrscheinlich ihr bestes Spiel abgeliefert hatte.

Und sie wurde auch jubelnd in Frankfurt empfangen... womit sie schon mal einen Vorgeschmack auf die große Begeisterung bei der folgenden WM im eigenen Land bekam.
 
Eine gute Vorbereitungsmöglichkeit auf die WM. Hoffentlich zieht das Unwetter hier in NRW rechtzeitig bis Donnerstag ab.
 

Oldschool

Spielgestalter
Moderator
Völler hatte sich nicht getraut, für das Endspiel den verletzten oder sagen wir angeschlagenen Kahn ( ich meine es war eine Rippenprellung ) durch Jens Lehmann zu ersetzen, weil Kahn bis dahin tadellos gehalten hatte. Aber genau das führte zum Abpraller, den Kahn eben wegen seiner Verletzung nicht festhielt.
Noch was: der amtierende Welt- und Europameister Frankreich schoss nicht ein einziges Tor und schied sang- und klanglos in der Vorrunde aus ( Senegal 0:1, Uruguay 0:0, Dänemark 0:2 ), mit solchen Granaten wie Zidane, Djorkaeff, Trezeguet, Henry. Makelele, Wiltord.
Argentinien, Portugal, Uruguay, Nigeria, Russland und eben Frankreich schieden bereits in der Vorrunde aus, Schweden und Italien im AF, England und Spanien im VF, sodass die meisten Hochkaräter bereits eliminiert waren.
Unter den letzten 4 waren dann Brasilien und Deutschland und je nachdem wie es der Spielplan vorgesehen hätte, wären nach einem HF Brasilien gg. Schland entweder Südkorea oder die Türkei ins Endspiel gekommen. Die Türkei wurde dann Dritter und Hakan Sükür schrieb WM Geschichte mit dem schnellsten Tor aller Zeiten nach 11 Sekunden.
 

huelin

Quite clear, no doubt, somehow
Wir schreiben das Jahr 2006, ich bin gerade fünfzig geworden, hab mich in Spanien weiter eingelebt, und mein Sohn steht kurz vor seiner Einschulung. Die Vorfreude auf die WM in Deutschland ist zwar groß – trotzdem hält sich mein Bedürfnis, den Trubel vor Ort zu erleben, in Grenzen, und so beschließe ich, die WM komplett bei mir zu Hause in Málaga zu schauen, zumal es hier auch nicht an internationalem Publikum fehlt. Zu einer wichtigen Begleitung für die WM wurde für mich zudem auch das Forum Drin-Isser, das ja so mancher hier noch sehr gut kennt.

Seit zwei Jahren wurde die deutsche Nationalelf von Jürgen Klinsmann mit seinem Assistenten Jogi Löw trainiert, und sie hatten sich von Anfang an eine attraktivere Spielweise auf die Fahne geschrieben. Das klappte allerdings nur teilweise; so wurde zum Beispiel ein Freundschaftsspiel im März in Florenz mit 1:4 gegen Italien verloren. Vor allem aber gab es viele Diskussionen um die Ausbootung von Oliver Kahn, der durch Jens Lehmann ersetzt wurde. Und seit Jahren schon auch um den Wohnort von Klinsi, der unbedingt in seinem Kalifornien wohnen bleiben wollte.

Immerhin war es eine junge Mannschaft, die spielerisch durchaus zu gefallen wusste – und dafür waren die meisten ja nach einer weiteren Katastrophen-EM mit den ganzen Jeremies und Ramelows schon dankbar. Im Eröffnungsspìel in München boten sie dann auch schönen Fußball, wobei von dem 4:2 gegen Costa Rica vor allem noch Lahms Führungstreffer in Erinnerung bleibt. Philipp Lahm war einer der jüngeren Spieler, die das Gesicht der Mannschaft inzwischen prägten – genauso wie etwa Schweinsteiger, Podolski oder Mertesacker, und sich gut mit den bewährten Recken wie Ballack, Frings oder Schneider ergänzten.

Im zweiten Spiel gegen Polen in Dortmund tat sich die Mannschaft dann schon schwerer und musste bis zur Nachspielzeit warten, als erst zwei Einwechelspieler den vielumjubelten Sieg klar machen konnten. Neuville netzte auf Flanke von Odonkor ein, der sich auf der rechten Außenbahn herrlich durchgetankt hatte. Das abschließende 3:0 gegen Ecuador war dann nur noch Formsache. Die Vorrunde ließ sich also schon mal gut an für Klinsis Jungs.

Was passierte in den anderen Gruppen? Neuling Trinidad schlug sich wacker, Geheimtipp Elfenbeinküste musste sich der Übermacht aus Holland und Argentinien (mit einem blutjungen Messi als Einwechselspieler) beugen, Portugal und Brasilien hatten keine Probleme, Australien überraschte, indem es hinter den Brasilianern vor Kroatien landete, Italien und Frankreich kamen trotz durchwachsener Leistungen weiter, und Spanien erreichte das Achtelfinale souverän mit drei Siegen und 8:1 Toren – was hier diesmal schon etwas mehr Fahnenbegeisterung auslöste, vielleicht auch angeregt durch die Fernsehbilder aus Deutschland.

Die Ko-Spiele wurden dann für mich zu einem einzigen Kneipen-Marathon – wobei ich beispielsweise England-Ecuador in Ermangelung einer ecuadorianischen in einer kolumbianischen Gaststätte sah. Es begann mit einem lockeren 2:0 unserer Mannschaft gegen Schweden durch zwei frühe Podolski-Tore. Argentinien (2:1 n.V. gegen Mexiko) und England (1:0 gegen Ecuador durch einen Beckham-Freistoß) hatten da schon mehr Mühe. Und dann kam es zur „Schlacht von Nürnberg“ zwischen Portugal und Holland, bei der es 11 gelbe Karten und 4 Platzverweise gab, und der russischen Schiedrichter Ivanov, auch wegen der zahlreichen Handgemenge, völlig die Kontrolle über das Spiel verlor.

Fast ebenso turbulent war das 1:0 der Italiener gegen Australien. Es schien alles auf eine Verlängerung hinauszulaufen, die die Azzurri nach einem unberechtigten Platzverweis gegen Materazzi kurz nach der Pause zu zehnt hätten überstehen müssen... bis sich der Referee berufen fühlte, ihnen zum Ausgleich nach einem geschickten Faller von Grosso einen Elfmeter zu schenken, den Totti humorlos versenkte.

Um Elfmeter ging es dann auch bei Schweiz-Ukraine, denn nach dem 0:0 trafen die Eidgenossen im Elfmeterschießen nicht ein einziges Mal. Brasilien-Ghana mit einem erwarteten 3:0 sowie Spanien-Frankreich mit einem eher unerwarteten 1:3 schlossen dann das Achtelfinale ab. Das Spiel der Spanier sah ich bei einer Art kurzfristig anberaumtem Public Viewing am Strand – und danach war in meiner Umgebung schon wieder Fatalismus angesagt, nach dem Motto: „Egal, im Viertelfinale hätten wir sowieso verloren...“ :isklar:

Das Viertelfinale begann mit unserem denkwürdigen 1:1 mit Sieg im Elfmeterschießen gegen Argentinien, das zunächst sogar in Führung gegangen war, und dann einige seiner Stars auswechselte – die dann fehlten, nachdem Klose 10 Minuten vor Schluss den Ausgleich gemacht hatte. Der berühme Zettel von Lehmann ist dabei ebenso bereits Legende wie die anschließende Sperre von Frings nach den Tumulten im Anschluss an das Spiel – angeregt durch einen italienischen Fernsehkanal...

Denn die Azzurri sollten mal wieder unser Gegner sein, nachdem sie gegen die Ukraine beim 3:0 (zwei Tore von Toni) relativ wenig Probleme hatten. Dafür hatte ich an dem Tag Probleme mit meiner Logistik, denn ich hatte mich für das Deutschlandspiel überreden lassen, nach Marbella zu fahren, wo die Deutsche Schule ein Mini-Public-Viewing organisierte – und errecihte danach erst im letzten Moment meine Pizzeria in Málaga, wo ich die Italien-Spiele zu sehen pflegte und schon ein Platz für mich reserviert war...

Es folgte England-Portugal, bei dem Rooney nach einer Stunde wegen eines üblen Tritts rausflog – genauso wie am Ende die englische Mannschaft, natürlich mal wieder im Elfmeterschießen. Das letzte Viertelfinale Brasilien-Frankreich endete dann mit einer Blamage für die Seleção mit ihren vielen Altstars, denn beim 0:1 (Tor durch Thierry Henry) spielte man wirklich schlecht, und für einige Spieler ging danach ein Zyklus im Nationaltrikot zu Ende.

Fürs Halbfinale kehrte die deutsche Elf dann ins Westfalenstadion zurück, und in einem umkämpften, ausgeglichenen Spiel fiel bis zur 90. Minute kein Tor. Danach drehte Italien plötzlich auf und machte durch Tore von Grosso und Del Piero Deutschlands Titelhoffnungen zunichte. Das zweite Halbfinale in München war dann fast ebenso ausgeglichen und wurde durch einen Elfmeter von Zidane nach einer guten halben Stunde entschieden.

Im Berliner Olympiastadion kam es also zum Finale Italien-Frankreich. Nach 20 Minuten stand es 1:1, nachdem Zidane, wiederum durch Elfmeter, Materazzis Führungstreffer ausgeglichen hatte. Und die beiden waren auch die Protagonisten der einprägendsten Szene dieses Spiels. Es lief bereits die 110. Minute, als Zidane plötzlich seinen Kopf mit Anlauf in Materazzis Brust rammte, nachdem ihn dieser vorher wohl blöd angemacht hatte. Beim abschließenden Elfmeterschießen trafen dann alle bis auf den Franzosen Trezeguet, so dass die Squadra Azzurra nach 24 titellosen Jahren ihre vierte Weltmeisterschaft gewinnen konnte.

Ich persönlich war damit sehr zufrieden und feierte in jener Nacht noch lange mit den Italienern in der Pizzeria. Trotzdem war mir schon nach dem Spiel klar, dass eine solche Tour de Force mit ständigem Auswärtsschauen wohl für mich beim nächsten Mal nicht mehr in Frage kommen würde. Und um dieses nächste Mal, die WM 2010 in Südafrika, geht es morgen – bevor die Show dann um 22 Uhr eeendlich losgeht! :)
 

Holgy

Kommischer Foggel
Moderator
Das Endspiel 82 ist in meiner Erinnerung eines der besten, wenn nicht sogar das beste überhaupt. Wie briegel gleich am Anfang einen Elfer verursacht und dann diese schlappe Ausführung! Das war noch kein Rasenschach sondern ruppiger 80er Jahre Fußball. Trotzdem oder gerade deswegen ein spannedes Spiel! Paolo Rossi werde ich nie vergessen. Die Italiener waren einfach super.
 

huelin

Quite clear, no doubt, somehow
Die WM 2010 in Südafrika wurde für mich tatsächlich um einiges ruhiger – wenn man bei dem ständigen Vuvuzela-Gedröhne überhaupt davon sprechen konnte. Ein paar Spiele sah ich außer Haus, meist bei Bekannten, die weitaus meisten aber zu Hause. Seltsamerweise habe ich zum Teil an die alten WMs bessere Erinnerungen als an die letzte. Begeistert hat sie mich jedenfalls nicht übermäßig, obwohl ich am Ende über den Weltmeister nicht unglücklich war.

Zum Beispiel fand ich es schade, dass Gastgeber Südafrika schon in der Vorrunde raus musste, obwohl sie im dritten Spiel sogar Frankreich schlagen konnten – aber Mexiko kam auf Grund der Tordifferenz weiter. Die Franzosen dagegen erlebten bei dem Turnier ein Waterloo, begleitet von heftigem Streit zwischen Trainer Domenech und vielen Spielern.

Bei der deutschen Mannschaft war vor der WM der Ausfall von Kapitän Ballack zu beklagen, doch sie begann stark mit einem 4:0 gegen Australien. Danach gab es allerdings ein 0:1 gegen Serbien, nachdem Klose schon nach einer guten halben Stunde Gelb-Rot bekommen hatte. Im letzten Spiel sorgte aber ein Treffer von Özil noch für den Gruppensieg vor Gegner Ghana.

In den anderen Gruppen setzten sich meist die Favoriten durch, wenn man von Weltmeister Italien absieht, der unter Lippi am Ende durch ein 2:3 gegen die Slowakei vorzeitig nach Hause fahren musste. Auch für Europameister Spanien sah es nach dem 0:1 im Auftaktspiel gegen die Schweiz zunächst nicht gut aus, doch dank eines treffsicheren David Villa wurde man doch noch Gruppensieger vor den starken Chilenen.

Noch zu erwähnen, dass Japan in seiner Gruppe Zweiter vor vor Dänemark wurde, dass die Elfenbeinküste mit Brasilien und Portugal erneut eine sehr schwere Gruppe erwischt hatte, die sie nicht überstand, und dass die Engländer mit Mühe den zweiten Platz hinter den USA erreichten – womit sie im Achtelfinale auf unsere Elf treffen würden.

Das 4:1 gegen die Engländer hat sicher noch jeder in Erinnerung. Die Mannschaft spielte stark, hatte aber auch Glück, dass ein Treffer des Gegners, der eindeutig hinter der Linie war, nicht anerkannt wurde. Auch die Spanier erreichten das Viertelfinale, durch ein 1:0 gegen Portugal, das erneut von Villa erzielt wurde. Hier war die Begeisterung inzwischen eine ganz andere, nach der erfolgreichen EM 2008, überall waren Fahnen zu sehen, und auch das Public Viewing breitete sich immer mehr aus – worauf ich persönlich aber gut verzichten konnte.

Ins Viertelfinale hatten es vier Südamerikaner geschafft, dazu Deutschland, Spanien, die unter Van Marwijk recht unholländisch spielenden Holländer und die überraschenden Ghanaer, die die USA mit 2:1 n.V. besiegt hatten. Der erste Paukenschlag war das 2:1 von Holland gegen Brasilien durch zwei Tore von Wesley Sneijder. Es folgte Uruguay gegen Ghana, bei dem Suárez in der 90. Minute beim Stand von 2:2 einen Torschuss mit der Hand abwehrte, Ghana aber den Elfmeter verschoss und schließlich im Elfmeterschießen ausschied.

Und dann folgte unser bestes Spiel bei dieser WM. Beim 4:0 gegen Maradonas Argentinien zauberte die deutsche Elf wie in besten Zeiten und wurde danach von vielen schon als WM-Favorit betrachtet. Zumal sich die anderen Favoriten eher schwer taten, wie etwa Spanien beim turbulenten 1:0 gegen Paraguay, erneut durch David Villa, nachdem beide Teams je einen Elfmeter verschossen hatten.

Im Halbfinale besiegten die Holländer zunächst Uruguay (mit dem starken Diego Forlán) mit 3:2, und dann scheiterte Jogis Elf mal wieder an Spanien – und auch diesmal verdient. Puyol per Kopf war der Torschütze zum Siegtreffer gewesen. So kam es in Johannesburg zum Finale Spanien-Holland, zwei Länder die eigentlich für technischen Fußball stehen, doch besonders die Holländer brachten viel Härte ins Spiel – mit dem „Höhepunkt“ des Kung-Fu-Tritts von De Jong gegen Xabi Alonso.

Iniestas Tor in der 116. Minute, das ich seitdem sicher schon dutzende Male im TV gesehen habe, brachte dann die Entscheidung zugunsten von Spaniens erstem WM-Sieg der Geschichte. Genau wie Griechenland bei der EM sechs Jahre vorher, hatten sie alle Ko-Spiele mit 1:0 gewonnen, obwohl sie sicherlich nicht so defensiv ausgerichtet waren, sondern stattdessen mit ihrem Tikitaka oft über weite Strecken den Ball vor dem Gegner versteckten.

Damit endet meine kleine Revue, die eigentlich mehr als nur die übliche fußballerische Zusammenfassung sein sollte, denn ich wollte euch auch ein wenig die Atmosphäre schildern, in der ich die zwölf Weltmeisterschaften erlebt habe – auch wenn dies, was den heutigen Beitrag betrifft, sicher nicht so im Vordergrund stand, zumal das Drumherum für mich vor vier Jahren nicht so viel anders war als heute.

Heute abend geht’s dann also endlich los. In diesem Sinne wünsche ich euch allen eine schöne, erlebnisreiche WM. :)
 
Die WM in Südafrika war für mich auch eine der langweiligsten. Wenn man sich die Ergebnisse anschaut, sieht man meistens torarme 0-0, 1-0 oder 1-1-Resultate. Zudem noch ungewöhnliche, aber dennoch fußballerisch wenig begeisternde Mannschaften aus Europa wie Slowenien, Griechenland und Slowakei. Das alles auch noch begleitet durch leere Ränge und ständigem Vuvuzelalärm...
 

Oldschool

Spielgestalter
Moderator
Ich dachte eigentlich, bei den ganzen 80er-Jahre-Freaks hier im Forum kommen mehr Kommentare zu dem WMs in dem Jahrzehnt. :weißnich: ( ... ) Mich persönlich freute aber besonders das 5:1 der wiedererstarkten Spanier gegen Dänemark, mit vier Toren des wuseligen „Buitre“. Da einige in dem Umschulungskurs sehr für Dänemark waren, weiß ich noch genau, wie ich am nächsten Morgen den Klassenraum mit erhobener Faust und dem Ruf „Butragueño!“ betrat. ;)
Mir ging es anders, weil mich das Danish Dynamite 1986 total begeistert hat. Die Dänen zogen mit 3 Siegen in das AF ein, unter anderem mit einem 6:1 gg. Uruguay und auch wir -> unterlagen mit 0:2
Deshalb sah ich unsere Nachbarn als Topfavorit auf den Titel an, allein wegen der Vorrunde.
Doch dann kam Spanien im AF, gegen die sie noch 1:0 in Führung gingen und dann 1:5 abkackten. Eine Enttäuschung ohnegleichen. 2 prägende Spieler möchte ich aber gerne erwähnen, den Spanier


butragueno.jpg
Emilio Butragueño

und den Dänen, der in der Vorrunde so brillierte:

elkjaer-larsen,%20preben%201988.jpg
Preben Elkjær

Werde ich beide nie vergessen !
 
Kann mich auch noch erinnern, als ich im Frühstücksfernsehen überrascht wurde, dass die Spanier die Dänen rausgekegelt hatten. Das Spiel kam damals glaube ich mitten in der Nacht. Aber das haben wir in jedem Turnier, dass eine Mannschaft alles überragend spielt und dann abgewatscht wird. z.B. das nominell beste Brasilien das es je gab 1982 von Italien. Oder die vBasten Holländer von de Russen demontiert 2008, oder die Hidding Russen 2010 von Spanien auseinadergenommen.

Preben Elkjær Larsen war 86 Kult, lockerer Typ, Kettenraucher, pfeilschnell und dabei abgeklärt wie Manni Burgmüller.
 
Oben