J
Jonny
Guest
>Hoffnung bis zur 31. Minute
>> Von Peter Ahrens
>>
>> Fans von Moenchengladbach muessen in diesen Tagen stark sein. Denn
>> schon nach zwei Spielen zeichnet sich ab, dass die Borussia wohl auch
>> in dieser Saison nur um Platz zehn Spielen wird. Darueber troesten auch
>> die glorreichen Jahre der einstigen Fohlen nicht hinweg.
>>
>> Jedes Jahr, immer dann, wenn in Deutschland der Winter vor der Tuer
>> steht, also im August, keimt die Hoffnung neu. Dieses Jahr wird endlich
>> wieder ein Borussenjahr. Zwei daenische Internationale fuer die
>> Verteidigung, Giovane Elber wird irgendwann wieder richtig fit sein,
>> Horst Koeppel auf der Trainerbank nach den Lienens und Fachs dieser
>> Welt wieder ein echter Sympathietraeger - ausserdem kann es ja nach der
>> vergangenen Spielzeit ohnehin nur besser werden. Besonders nach den
>> Vorbereitungsspielen: Unentschieden gegen Glasgow Rangers und PSV
>> Eindhoven!
>>
>> Die Hoffnung waehrt gemeinhin ungefaehr 31 Minuten, bis das erste
>> Gegentor der neuen Saison faellt. Und spaetestens nach dem Kick am
>> Samstag bei der Heimspielpremiere gegen den VfL Wolfsburg ist allen
>> klar: Diese Saison wird genauso furchtbar wie die vergangene. Und die
>> davor, und die davor. Gegen Wolfsburg, zu Hause, gegen Holger Fach, den
>> Feind aller Borussen-Aestheten schlechthin, schon wieder eine Halbzeit
>> in Ueberzahl - und wofuer das alles? Fuer ein 1:1 in der allerletzten
>> Minute.
>>
>> Ich will hier niemanden langweilen mit Reminiszenzen aus den siebzier
>> Jahren, Aus-der-Tiefe-des-Raumes, Guenter N. sich selbst in der
>> Verlaengerung eingewechselt und so weiter und so fort. Dieses
>> fussballerische Alt-68er-Gerede, dieses uebliche unkritische
>> Netzer-Tum, ruehrseliges Nick-Hornby-Gesaeusel, nein, nein, bloss
>> nicht, - aber wahrhaftig war das erste Fussballspiel, an das ich mich
>> erinnere, das Pokalendspiel gegen Koeln 1973. Auch wenn Uebelmeinende
>> mich daraufhin der billigen Legendenbildung bezichtigen.
>>
>> Und als ich am 3. Maerz 1976 im Duesseldorfer Rheinstadion, Friede
>> seiner Asche, Borussia gegen Real Madrid mehr erahnt als gesehen habe,
>> da ein 10-Jaehriger auf Stehplaetzen unter den damaligen Macht- und
>> Groessenverhaeltnissen eigentlich keine Sicht aufs Spielfeld hatte, war
>> der Keim gelegt.
>>
>> Unerschuetterliche Zuversicht war das Anfangsgefuehl. Danach folgten
>> ueber all die Jahrzehnte Lothar Matthaeus, Stefan Effenberg, Uli
>> Borowka, Rolf Ruessmann, Holger Fach und Dick Advocaat als bisheriger
>> Endpunkt einer nach unten offenen Unertraeglichkeits-Skala. Wenn man
>> eine Geisterbahn der bundesdeutschen Fussballhistorie ausstatten
>> muesste, bitte bedienen Sie sich am Niederrhein - Duldsamkeit, Toleranz
>> gegenueber Anders- und Gar-Nicht-Denkenden ist dem Borussenfreund
>> inzwischen zur zweiten Haut geworden.
>>
>> Trost spendet Ebay: Einen Schwung DVDs "Die schoensten Spiele von
>> Borussia Moenchengladbach" habe ich letztens wohlfeil erstanden,
>> Europapokal-Endspiel 1977 in Rom gegen Liverpool, O-Ton Rolf Kramer:
>> "Kulik sieht Simonsen, zurueck auf Klinkhammer, Heynckes laeuft."
>> Klick. Umschalten. Pokalhalbfinale 1984 gegen Werder, 5:4 nach
>> Verlaengerung, diesmal Heribert Fassbender: "Mill geht in Stellung,
>> Borowka, weiter Schlag auf Criens." Klick. Umschalten. Gegenwart. Jeff
>> Strasser. Er schlaegt gerade wieder einmal einen Ball unbedraengt ueber
>> die Seitenauslinie. Verzweiflung faellt anheim.
>>
>> Die Borussia hat in der Vorwoche stolz verkuendet, dass ihr neues
>> Reha-Zentrum auf dem Vereinsgelaende jetzt fertig gestellt sei. Das
>> braucht sie auch, schliesslich ist es der Hauptaufenthaltsraum der
>> halben Stammtruppe: Boehme, Elber, Ziege, Thyss, Sonck, Helveg - gibt
>> es irgendwo in Europa noch ein paar blessierte Stars im ausklingenden
>> Fussballalter? Kommt zur Borussia! Hier gibt es zumindest ein
>> fantastisches Reha-Zentrum.
>>
>> Jetzt hat der Verein diesen praechtigen Borussia-Park dort stehen, der
>> selbst den ueblichen Strukturkonservativen die Boekelberg-Nostalgie
>> verleiden wuerde, falls man Strukturkonservativen etwas austreiben
>> koennte. Die wirtschaftlichen Zahlen des Vereins sind ansehenswert, ein
>> vertrauenswuerdiger Manager ist an Bord, dem ich gar einen
>> Gebrauchtwagen abkaufen wuerde, vorausgesetzt, es ist ein VW. Alles
>> koennte so schoen sein, stattdessen wird alles wieder so sein wie
>> immer.
>>
>> Aber es hilft nichts. Ich habe doch alles versucht. Ich habe mich in
>> Hamburg durch stete Millerntor-Besuche redlich bemueht, den FC St.
>> Pauli als neuen Lieblingsclub zu adoptieren, ich resigniere derzeit in
>> Berlin bei der emotionalen Annaeherung an Hertha BSC.
>> Gladbach-Exorzismus funktioniert so nicht. Das Herz schlaegt
>> linksrheinisch, dieses Schicksal muss ich wohl bis an mein Ende tragen.
>>
>>
>> Ich wuerde diese Kolumne so gern mit einem optimistischen Ende
>> abschliessen, aber es gibt nichts Positives zu sagen. Vielleicht am
>> naechsten Spieltag auf Schalke, da koennte Helveg wieder fit sein, und
>> Elber hat dann noch ein bisschen mehr Spielpraxis, und die Schalker
>> unterschaetzen die Borussen in ihrer Ruhrgebietshybris eventuell, und
>> wenn Thomas Broich ein fruehes Tor gelaenge, und Keller ist ja im
>> Moment ziemlich gut in Schuss, und Neuville... Klick.
>>
>>
>> Peter Ahrens, 39, lebt und arbeitet als Freier Journalist in Berlin. Er
>> schaut auf eine kurze wie erfolglose Karriere als Linksaussen bei
>> Sportfreunde Paderborn zurueck.
>> Von Peter Ahrens
>>
>> Fans von Moenchengladbach muessen in diesen Tagen stark sein. Denn
>> schon nach zwei Spielen zeichnet sich ab, dass die Borussia wohl auch
>> in dieser Saison nur um Platz zehn Spielen wird. Darueber troesten auch
>> die glorreichen Jahre der einstigen Fohlen nicht hinweg.
>>
>> Jedes Jahr, immer dann, wenn in Deutschland der Winter vor der Tuer
>> steht, also im August, keimt die Hoffnung neu. Dieses Jahr wird endlich
>> wieder ein Borussenjahr. Zwei daenische Internationale fuer die
>> Verteidigung, Giovane Elber wird irgendwann wieder richtig fit sein,
>> Horst Koeppel auf der Trainerbank nach den Lienens und Fachs dieser
>> Welt wieder ein echter Sympathietraeger - ausserdem kann es ja nach der
>> vergangenen Spielzeit ohnehin nur besser werden. Besonders nach den
>> Vorbereitungsspielen: Unentschieden gegen Glasgow Rangers und PSV
>> Eindhoven!
>>
>> Die Hoffnung waehrt gemeinhin ungefaehr 31 Minuten, bis das erste
>> Gegentor der neuen Saison faellt. Und spaetestens nach dem Kick am
>> Samstag bei der Heimspielpremiere gegen den VfL Wolfsburg ist allen
>> klar: Diese Saison wird genauso furchtbar wie die vergangene. Und die
>> davor, und die davor. Gegen Wolfsburg, zu Hause, gegen Holger Fach, den
>> Feind aller Borussen-Aestheten schlechthin, schon wieder eine Halbzeit
>> in Ueberzahl - und wofuer das alles? Fuer ein 1:1 in der allerletzten
>> Minute.
>>
>> Ich will hier niemanden langweilen mit Reminiszenzen aus den siebzier
>> Jahren, Aus-der-Tiefe-des-Raumes, Guenter N. sich selbst in der
>> Verlaengerung eingewechselt und so weiter und so fort. Dieses
>> fussballerische Alt-68er-Gerede, dieses uebliche unkritische
>> Netzer-Tum, ruehrseliges Nick-Hornby-Gesaeusel, nein, nein, bloss
>> nicht, - aber wahrhaftig war das erste Fussballspiel, an das ich mich
>> erinnere, das Pokalendspiel gegen Koeln 1973. Auch wenn Uebelmeinende
>> mich daraufhin der billigen Legendenbildung bezichtigen.
>>
>> Und als ich am 3. Maerz 1976 im Duesseldorfer Rheinstadion, Friede
>> seiner Asche, Borussia gegen Real Madrid mehr erahnt als gesehen habe,
>> da ein 10-Jaehriger auf Stehplaetzen unter den damaligen Macht- und
>> Groessenverhaeltnissen eigentlich keine Sicht aufs Spielfeld hatte, war
>> der Keim gelegt.
>>
>> Unerschuetterliche Zuversicht war das Anfangsgefuehl. Danach folgten
>> ueber all die Jahrzehnte Lothar Matthaeus, Stefan Effenberg, Uli
>> Borowka, Rolf Ruessmann, Holger Fach und Dick Advocaat als bisheriger
>> Endpunkt einer nach unten offenen Unertraeglichkeits-Skala. Wenn man
>> eine Geisterbahn der bundesdeutschen Fussballhistorie ausstatten
>> muesste, bitte bedienen Sie sich am Niederrhein - Duldsamkeit, Toleranz
>> gegenueber Anders- und Gar-Nicht-Denkenden ist dem Borussenfreund
>> inzwischen zur zweiten Haut geworden.
>>
>> Trost spendet Ebay: Einen Schwung DVDs "Die schoensten Spiele von
>> Borussia Moenchengladbach" habe ich letztens wohlfeil erstanden,
>> Europapokal-Endspiel 1977 in Rom gegen Liverpool, O-Ton Rolf Kramer:
>> "Kulik sieht Simonsen, zurueck auf Klinkhammer, Heynckes laeuft."
>> Klick. Umschalten. Pokalhalbfinale 1984 gegen Werder, 5:4 nach
>> Verlaengerung, diesmal Heribert Fassbender: "Mill geht in Stellung,
>> Borowka, weiter Schlag auf Criens." Klick. Umschalten. Gegenwart. Jeff
>> Strasser. Er schlaegt gerade wieder einmal einen Ball unbedraengt ueber
>> die Seitenauslinie. Verzweiflung faellt anheim.
>>
>> Die Borussia hat in der Vorwoche stolz verkuendet, dass ihr neues
>> Reha-Zentrum auf dem Vereinsgelaende jetzt fertig gestellt sei. Das
>> braucht sie auch, schliesslich ist es der Hauptaufenthaltsraum der
>> halben Stammtruppe: Boehme, Elber, Ziege, Thyss, Sonck, Helveg - gibt
>> es irgendwo in Europa noch ein paar blessierte Stars im ausklingenden
>> Fussballalter? Kommt zur Borussia! Hier gibt es zumindest ein
>> fantastisches Reha-Zentrum.
>>
>> Jetzt hat der Verein diesen praechtigen Borussia-Park dort stehen, der
>> selbst den ueblichen Strukturkonservativen die Boekelberg-Nostalgie
>> verleiden wuerde, falls man Strukturkonservativen etwas austreiben
>> koennte. Die wirtschaftlichen Zahlen des Vereins sind ansehenswert, ein
>> vertrauenswuerdiger Manager ist an Bord, dem ich gar einen
>> Gebrauchtwagen abkaufen wuerde, vorausgesetzt, es ist ein VW. Alles
>> koennte so schoen sein, stattdessen wird alles wieder so sein wie
>> immer.
>>
>> Aber es hilft nichts. Ich habe doch alles versucht. Ich habe mich in
>> Hamburg durch stete Millerntor-Besuche redlich bemueht, den FC St.
>> Pauli als neuen Lieblingsclub zu adoptieren, ich resigniere derzeit in
>> Berlin bei der emotionalen Annaeherung an Hertha BSC.
>> Gladbach-Exorzismus funktioniert so nicht. Das Herz schlaegt
>> linksrheinisch, dieses Schicksal muss ich wohl bis an mein Ende tragen.
>>
>>
>> Ich wuerde diese Kolumne so gern mit einem optimistischen Ende
>> abschliessen, aber es gibt nichts Positives zu sagen. Vielleicht am
>> naechsten Spieltag auf Schalke, da koennte Helveg wieder fit sein, und
>> Elber hat dann noch ein bisschen mehr Spielpraxis, und die Schalker
>> unterschaetzen die Borussen in ihrer Ruhrgebietshybris eventuell, und
>> wenn Thomas Broich ein fruehes Tor gelaenge, und Keller ist ja im
>> Moment ziemlich gut in Schuss, und Neuville... Klick.
>>
>>
>> Peter Ahrens, 39, lebt und arbeitet als Freier Journalist in Berlin. Er
>> schaut auf eine kurze wie erfolglose Karriere als Linksaussen bei
>> Sportfreunde Paderborn zurueck.