Krise im Ostfußball?

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Der Fußball-Gipfel
Termin bei SUPERillu: Die erste Bundesliga ohne Ostklub. Macher, Kritiker und Spieler trafen sich in Berlin, redeten Klartext. Über Fehler, Schuldige und Wege aus der Krise.

Der Schock nach dem Abstieg von Hansa Rostock sitzt tief. Erstmals seit 1991 spielt kommende Saison kein Verein aus dem Osten Deutschlands in der Bundesliga. Wer ist schuld am Niedergang des Fußballs zwischen Erzgebirge und Ostsee? Was wurde falsch gemacht? Und viel wichtiger: Wie kann man den Ostvereinen wieder auf die Beine helfen? Fragen über Fragen. Deshalb stellte SUPERillu eine Expertenrunde zusammen, die kritisch und schonungslos, aber kompetent und konstruktiv nach Antworten suchte. Drei Stunden diskutierte die Sechser-Runde in der SUPERillu-Redaktion. Und kam zu folgenden Thesen.

Ein Fördertopf für den Osten muss her

HSV-Trainer Thomas Doll, ein Mecklenburger, hat die Forderung aufgestellt: DFB und Wirtschaft müssen regulierend eingreifen, also Geld für Ostklubs sammeln.
Dr. Moldenhauer: Dazu wird es nicht kommen. Wir haben 15 Jahre nach der Vereinigung der beiden deutschen Fußballverbände keine Frage mehr von West und Ost, sondern von strukturschwach und strukturstark. Also werden DFB und DFL etwa Mecklenburg gegenüber Schleswig-Holstein nicht finanziell bevorteilen. Diese Länder sind beide schwach. Ein Beispiel: Der VfB Leipzig stieg 1993 mit dem dritthöchsten Etat in die Bundesliga auf. Geld war da, aber es wurde schlecht gewirtschaftet. Vielleicht hätte der DFB den Vereinen aus der DDR-Oberliga damals mehr Hilfe in Betriebswirtschaft geben müssen.

Dr. Diestel: Anfang der Neunziger waren die Präsidenten oft Selbstdarsteller mit Großmannssucht, denen unfähige Manager zur Seite standen. Die entsprechenden Namen sind in der Öffentlichkeit ja bekannt.

Krein: Wieso für den Osten sammeln? Wenn ich 20 Millionen habe, schmeiße ich sie auch raus, wenn ich nicht mit Geld umgehen kann. Die Vereine müssen vielmehr wieder lernen, trocken Brot zu fressen. Man darf Unvermögen und Dummheit nicht mit fehlender Wirtschaftskraft verwechseln. Auch uns wollten viele Blender über den Tisch ziehen, aber wir sind nicht drauf reingefallen. Nur einigen Spielervermittlern ist es gelungen, uns zu überrumpeln.

Kische: Wozu braucht ein Verein wie Hansa Rostock mehr als 60 Angestellte? Wozu eine gläserne Geschäftsstelle, die in Deutschland nur noch von der des FC Bayern übertroffen wird? Warum ist bei mehr als 10 Millionen Euro Fernsehgeldern pro Saison keine Rücklage übrig? Schuld daran ist Hansa selber, nicht die anderen. Bei so viel Misswirtschaft ist es ein Unding, dass das Land Mecklenburg-Vorpommern dem Verein mit einer Bürgschaft von knapp 5 Millionen Euro hilft, um überhaupt die Lizenz für die kommende Saison zu erhalten.

Rudi: Jeder muss sich schon um sich selbst kümmern. Wir haben unsere Altlasten abgearbeitet. 2002 sah das anders aus: Wenn wir da nicht in die Regionalliga aufgestiegen wären, wären wir am nächsten Tag zum Insolvenzverwalter marschiert.


Wir brauchen keine teuren Stadien

Leipzig und Rostock haben neue Stadien, Dresden, Halle und Magdeburg wollen bauen. Überflüssig?
Beeck: Wir können ja nicht auf der Wiese spielen, so wie das in Trier oder Oberhausen der Fall ist. Mit unseren Stadien sind wir im Osten gut bedient. Ich bin froh, dass wir in Cottbus die neue Tribüne haben, dass was entsteht, es vorwärts geht.

Krein: ...in Regensburg mussten wir mal mit Mineralwasser duschen.

Dr. Diestel: Ich sehe das anders. Was will Rostock in der 2. Liga mit diesem großen Stadion? Das war der nächste schwere Fehler bei Hansa: Die kopflose Führung hat mehr in Steine als in Beine investiert. Das rächt sich. Meine Befürchtung, ja meine Angst ist: In zwei Jahren hat Hansa das schönste Stadion - in der Regionalliga.

Dr. Moldenhauer: Ohne modernes Stadion geht es heute nicht mehr. Das verlangt der DFB. Zu Leipzig: Als das WM-Stadion genehmigt wurde, war der VfB in der Bundesliga. Außerdem hebt eine neue Fußballarena das Image einer Stadt. Wer zu klein baut, ärgert sich vielleicht eines Tages, so wie Leverkusen, das keine WM-Spiele bekommen hat.

Rudi: Wir wollen in drei Jahren in der Bundesliga sein. Also brauchen wir schleunigst ein neues Stadion. Ich hoffe, im Herbst hat die Stadt den Umbau des Rudolf-Harbig-Stadions abgesegnet. Ich bin zuversichtlich. Wir planen mit 30000 bis 40000 Plätzen.

Krein: Und wer bezahlt?

Rudi: Bund, Land, Stadt sind ge-fordert. Was der Verein tun kann, tut er. Dynamo könnte auch Mieter sein.

Kische: So ein Stadion in Rostock zu bauen war verantwortungslos: Zehntausend Sitze weniger hätten Millionen Euro gespart. Außer Fußball hat im Ostseestadion, entgegen den lauten Tönen vorher, noch nie ein anderes Ereignis stattgefunden.


Unsere Talente laufen weg, und aus dem Westen kommt keiner

Rennen schon junge Kicker nur dem Geld hinterher?
Dr. Moldenhauer: Talente zu entdecken und zu halten ist unsere Hauptaufgabe. Deshalb werden wir das Netz an Fußballinternaten im Osten, bislang sind es 15, verdichten. In DFB-Nachwuchsteams kommt fast die Hälfte der Jungs ursprünglich aus Jena, Leipzig, Cottbus, Dresden, Rostock. Ohne Profimannschaft vor der Haustür und ohne schönes Stadion hauen die ab.

Kische: Beispiel Hansa. Der Klub ist stolz auf seine Nachwuchsarbeit. Aber kein Talent hat sich in den letzten zehn Jahren bei den Profis durchgesetzt. Also muss sich der Präsident doch fragen warum, und bei den Betreuern und im Umfeld ausmisten. In Rostock, unter den Bürgern, heißt es eh, die Jungs im Fußballinternat sind mehr hinter den Röcken als hinter dem Ball her.

Krein: Zu den Wechseln von West nach Ost: Wenn das Geld stimmt, kommt jeder Spieler auch nach Cottbus oder Aue. Aber man kann nie wissen: Paulo Rink zum Beispiel kam nach Cottbus, hat bei Ede Geyer auf sein Normalgewicht abtrainiert und ist wieder verschwunden.

Beeck: Deshalb warne ich vor Schnellschüssen: Ein Verein sollte mehr Zeit und Geduld in die eigenen Talente investieren. Nur wer aus einer Gegend stammt, reißt sich den Hintern auf, wenn’s drauf ankommt. Und gerade in der 2. Liga kommt es in jedem Spiel 90 Minuten drauf an.

Rudi: Ich drehe den Spieß mal um: Inzwischen sind wir in der Lage, gute Spieler zu halten. Stürmer Clemen Lavric lassen wir nur nach Duisburg, wenn der MSV 1 Million plus Mehrwertsteuer zahlt. Sonst sind mir seine Tore wichtiger als das Geld. So weit haben wir uns mittlerweile gefestigt.

Dr. Diestel: Die Ausbildung im Osten war schon immer gut. Das haben wir anfangs gar nicht gewusst. Als die ersten DDR-Spieler in die Bundesliga gingen, war ich erstaunt, wie schnell die meisten in Stuttgart, Leverkusen und beim HSV Stammspieler oder wie Matthias Sammer sogar Kapitän wurden.


Der Osten kocht sein eigenes Süppchen

Warum lernen die Ostvereine nichts aus ihren Fehlern?
Kische: Weil wie in Rostock ein Klüngel am Werk ist, der den oft zitierten Kölner Klüngel übertrifft. Da wird an einem Trainer festgehalten, nur weil der seit hundert Jahren im Verein ist. Da wird als Nachfolger ein 60-Jähriger geholt, der nichts anderes will als einen Rentenvertrag. Da wird verschwiegen, wenn ein Spieler besoffen zum Training kommt und ihm der Wirt mit der Rechnung bis auf den Platz hinterher rennt. Schlimm auch: Die Presse in Rostock macht dieses Spielchen mit.

Beeck: Man muss so was nicht an die große Glocke hängen. Solche Zwischenfälle gab es auch bei uns. Was nur kaum einer weiß: Ede Geyer, der so genannte harte Hund, hat das durchgehen lassen. Petrik Sander aber schmeißt die Leute raus.


Dynamo wird die neue Nummer eins

Rostock spielt künftig mit Aue, Dresden und Cottbus in Liga zwei. Wer hat das beste Team?
Rudi: Wir machen aus unserem Vierjahresplan kein Hehl: 2008 wollen wir in der 1. Liga sein. Das erste Jahr haben wir mit dem Klassenerhalt geschafft. Im zweiten wollen wir noch üben, im dritten uns oben etablieren, im vierten angreifen. Mut macht mir, dass es im Verein stimmt. Unter den Spielern, im Trainerstab, auf der Geschäftsstelle, im Präsidium, im Aufsichtsrat. Wir bei Dynamo sind alle eine Soße! Noch ein Wort zu Aue und Cottbus: Respekt, was dort geleistet wurde. Aber auf Dauer sind das nur Städte für Zweitligafußball.

Kische: Ich bin gespannt, was in Dresden passiert. Für Hansa sehe ich schwarz. Wir haben derzeit keine Mannschaft, kein Geld, kaum Sponsoren, die unfähige Führung durfte im Amt bleiben. Ich befürchte bald einen Riesenknall. Davor habe ich Angst. Hansa ist noch immer mein Verein.

Dr. Diestel: Auch ich habe Angst um Hansa. Mit der Truppe, die den Verein in den Abstieg geführt hat, wird das nichts. Die tun so, als wäre nichts passiert. Das Präsidium bleibt, der Aufsichtsrat bleibt. Den Kampf in der 2. Liga besteht man aber nur mit kaufmännischem Sachverstand. Und den sehe ich nicht. Regionale Wirtschaftskraft gibt es auch in Mecklenburg. Nur muss man wissen, wie man die Leute ins Boot holt.

Krein: Ich bin in Leipzig geboren. Traurig, dass es in dieser boomenden Stadt keinen Profifußball mehr gibt. Neben der Misswirtschaft sind auch die Fans von FC Sachsen und Lok schuld. Dieser Hass blockiert alles. Jetzt zu uns: Ich sage schon immer, dass in diesem Dorf an der Grenze zu Polen auf Dauer die 2. Liga reicht.

Beeck: Ich schließe mich an, aber es ist nicht verboten, nach oben zu schielen. Aber wer nur wegen eines einzigen Tors nicht in die 3. Liga ab-steigt, sollte erst mal ruhig sein.


Unsere Klubs sind nicht zu retten

Was muss passieren, damit es zwischen Thüringen und Ostsee sportlich wieder aufwärts geht?
Dr. Moldenhauer: Mein Ziel ist eine Pyramide, mit zwei Ostklubs in der Bundesliga, vier in der 2. und acht in der 3. Liga. Dazu Hertha, das ist geografisch auch ein Ostklub. Wie kommen wir dorthin? Nicht, indem wir die Bundesliga aufstocken und dem Osten einen Quotenplatz zusichern. Denkbar ist eine Kooperation zwischen großen und kleinen Vereinen. Wenn ein Spieler bei den Bayern nicht zum Zug kommt, sollte er nach Dresden, Aue, Cottbus ausgeliehen werden können, ohne dass diese Vereine ihn bezahlen. Dann bleibt er in Schuss, hilft vielleicht dem ausleihenden Verein. Zudem sind Hilfe und Schulung auf Managerebene wichtig. Diese Themen habe ich mit DFB-Präsident Theo Zwanziger besprochen. Der DFB arbeitet daran.

Beeck: Müsste man nicht was an der Aufstiegsregel von der Oberin die Regionalliga ändern? Im Osten spielen die beiden Ersten der Staffel Nord und Süd nur einen Aufsteiger aus. Wo soll da die Motivation herkommen? Es ist verdammt schwer, sich ein Jahr quasi nur auf zwei Entscheidungsspiele zu konzentrieren.

Dr. Moldenhauer: Wir loten auch in dieser Richtung aus. Die zwei Ost-Oberligastaffeln sind noch eine Folge von der Fußballvereinigung 1990, als wir die 14 Mannschaften der DDR-Oberliga verteilt haben.

Dr. Diestel: Der ostdeutsche Fußball hat nur eine Chance, wenn Schluss ist mit der Großmannssucht und selbstgefälliges Handeln wie in Rostock vernünftigem Denken weicht. Meiner Meinung nach ist Hansa in keinster Weise auf die 2. Liga vorbereitet, weder sportlich noch wirtschaftlich. Eine brutale Sanierung ist nötig.

Rudi: Wenn ich das so höre, bin ich mit der Entwicklung bei Dynamo richtig glücklich: Das Klima im Verein und in der Stadt ist gut, das ist wichtig für unseren Weg in den nächsten Jahren. Ein Wort noch zum Image von Dynamo: Wir haben im Internet nach dem FC Bayern München die meisten Besucher auf unserer Homepage. Ich sage daher: Es gibt eine Zukunft für den Ostfußball.

Kische: Es ist klar, dass hier jeder in erster Linie von seinem Verein spricht. Ich habe die Befürchtung, dass in Rostock alles einstürzt, was mühsam aufgebaut wurde. Dieser Vorstand hat in diesem Jahr russisches Roulett gespielt, ist peinlich gescheitert und empfindlich für die kleinste Kritik.

Quelle: http://www.super-illu.de


Na, wenn ich Kische und Dienstel so reden höre, die sind doch selbst bei Hansa zum Teufel gejagt worden! :zank:
 
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