Defensivfussball (oder: Wieso die meisten Trainer auf dieselbe Art dumm sind)

Detti04

The Count
Hallo,

wir kennen ja alle das uebliche Szenario: Eine Mannschaft faehrt ueber einen laengeren Zeitraum schlechte Ergebnisse ein und der Trainer reagiert darauf, indem er defensiver spielen laesst. Als Grund dafuer wird dann meist sowas angegeben wie "Erfolgserlebnisse holen" oder "Sicherheit zurueckgewinnen" oder aehnlich. Aber macht das eigentlich Sinn?

Es ist mal wieder Zeit fuer ein Gedankenexperiment, um die Antwort auf diese Frage zu finden. (Im weiteren Verlauf dieser Ueberlegungen sind Zahlen nicht wirklich wichtig, aber sie vereinfachen bzw. veranschaulichen ein paar Dinge.) Los gehts.

Stellen wir uns mal eine Saison mit 32 Spieltagen vor, die wir der Einfachheit halber in 4 Halbserien von 8 Spielen einteilen. Trainer Klawuttke hat mit seiner Mannschaft, dem SV Durchschnitt, bisher wie folgt abgeschnitten:

Phase 1 (Spieltag 1-8): 12 Punkte
Phase 2 (Spieltag 9-16): 5 Punkte

Nach dem geglueckten Start ist der ganze Verein jetzt ein bisschen in Alarmstimmung. Am 16. Spieltag setzte es eine derbe Klatsche, und der letzte Sieg liegt inzwischen auch schon eine Weile zurueck, denn er stammt noch vom 11. Spieltag. Nicht nur von aussen, also von Fans und Medien, sondern auch intern wird der Druck auf den Trainer immer groesser. Klawuttke macht jetzt das, was ein Trainer eben so macht, und laesst von nun an defensiveren Fussball spielen als zuvor. Tatsaechlich zahlt sich das, denn die Saison geht so weiter:

Phase 3 (Spieltag 17-24): 11 Punkte

Die guten Ergebnisse sind also zurueck, und auch das Selbstvertrauen ist wieder da. Und nun die Preisfrage:

Wie laesst Klawuttke ab Spieltag 17 spielen?

A) Er laesst weiter defensiv spielen, denn das hat ja gute Ergebnisse gebracht
B) Er kehrt zurueck zum ursrpruenglichen Stil, denn der Defensivfussball sollte ja nur dazu dienen, um Erfolgserlebnisse und Selbstvertrauen zu gewinnen
 

Rupert

Friends call me Loretta
Vorher, also bis einschließlich 16. Spieltag, spielte die Mannschaft offensiver und Klawuttkes Ding ist/war das auch?
 
Zuletzt bearbeitet:

Detti04

The Count
Musste auch nur einer von euch bei der Antwort auf die Frage ueberlegen? Ich vermute, nein, denn ich kann mich an keinen einzigen Fall erinnern, in welcher ein Trainer dann zum urspruenglichen Fussball zurueckgekehrt waere, nachdem der Defensivfussball Punkte gebracht hat. (Wer Beispiele fuer solche Faelle hat, der moege sie hier bitte verlinken.) Natuerlich bleibt der Trainer beim Defensivfussball. Natuerlich? Wieso eigentlich natuerlich?

Hier ist der Punkt: Ist der Trainer erst einmal zum Defensivfussball gewechselt, dann gibt es in der Saison keinen Weg mehr zurueck. Vielleicht aendert der Trainer etwas zur naechsten Saison, wenn alles wieder bei Null anfaengt, aber fuer die laufende Saison ist die Sache gegesssen. Es ist also voellig egal, ob der Defensivfussball in Phase 3 erfolgreich ist oder nicht, denn in Phase 4 gibt es auf jeden Fall wieder Defensivfussball. Die Szenarien und die Logik hinter ihnen sieht dabei wie folgt so aus:

Wir haben entweder Szenario 1:

Phase 3 (Spieltag 17-24): 11 Punkte (d.h. Defensivfussball war erfolgreich)
Phase 4 (Spieltag 25-31): Weiter Defensivfussball, denn der war vorher ja erfolgreich

Oder Szenario 2:

Phase 3 (Spieltag 17-24): 6 Punkte (d.h Defensivfussball war nicht erfolgreich)
Phase 4 (Spieltag 17-24): Weiter Defensivfussball, denn es gelten ja weiterhin die Argumente ("Erfolgserlebnisse holen", "Selbstvertrauen tanken"), die am Ende von Phase 2 zur Umstellung auf den Defensivfussball gefuehrt haben

In anderen Worten: In Phase 4 von Szenario 2 hat der Trainer (seiner Ansicht nach) schon alles getan, was er in so einer Situation tun kann. Jetzt bleibt ihm nur noch, das Drama irgendwie zu ueberstehen und auf das Beste zu hoffen. Aller Wahrscheinlichkeit nach waere fuer die meisten Trainer nach einer erfolglosen Phase 3 aber eh Schluss, und der neue Mann kann dann so anfangen, wie er es fuer richtig haelt.

Und so kommen wir zum Punkt, an dem wir feststellen, dass die meisten Trainer auf die selbe Art dumm sind. Denn was bedeutet es, wenn ein Trainer bei Erfolglosigkeit und/oder Druck von aussen auf Defensivfussball umstellt? Es bedeutet dieses: Der Trainer hat die Mannschaft und den Fussball derselben analysiert und ist zu dem Schluss gelangt, dass das (Haupt)-Problem darin liegt, dass die Mannschaft zu offensiv gespielt hat. Alle Trainer haben eigene Spielideen sowie unterschiedliche bevorzugte Systeme und Spielphilosphien, und in den urspruenglichen Spielstilen ihrer Mannschaften spiegeln sich genau diese Ideen und Vorlieben wider. Aber wenn es mal nicht laeuft, dann kommen fast alle Trainer ganz unabhaengig vom urspruenglichen Spielsystem zum selben Schluss:

Wir haben zu offensiv gespielt.

Trotz ganz unterschiedlicher Voraussetzungen und Umstaende kommen die meisten Trainer also zum selben Schluss und finden dieselbe Antwort auf das Problem Erfolglosigkeit. Wenn das nicht dumm ist, was dann?
 

Rupert

Friends call me Loretta
Der kehrt höchstwahrscheinlich nicht in der gleichen Saison zum Offensivfußball zurück, weil er sich dann im Negativfall nicht anhören will: Jetzt wo’s wieder lief, macht er alles kaputt.
 

Schröder

Problembär
Wir haben zu offensiv gespielt.

Trotz ganz unterschiedlicher Voraussetzungen und Umstaende kommen die meisten Trainer also zum selben Schluss und finden dieselbe Antwort auf das Problem Erfolglosigkeit. Wenn das nicht dumm ist, was dann?
Kommt auf die Erwartungshaltung im Verein an. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wenn Bayern mal 5 Spiele nicht gewinnen sollte, der Trainer plötzlich defensiver spielen lässt.
 
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